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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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über den Rand der Schlucht. Sobald eine Serie von Schüssen gefallen war, folgte die nächste Gruppe, das ging sehr rasch. Ich ging auf der Westseite um die Schlucht herum, um mich den anderen Offizieren anzuschließen, die oben auf dem Nordhang standen. Von dort aus sah ich die Schlucht vor mir liegen: Sie mochte etwa fünfzig Meter breit und vielleicht dreißig Meter tief sein und zog sich mehrere Kilometer weit hin; der kleine Bach an ihrem Grund mündete ein Stück weiter unten in den Syrez, der der ganzen Gegend seinen Namen gab. Man hatte Bretter über den Bach gelegt, damit ihn die Juden und die Schützen leichter überqueren konnten; auf der anderen Seite, fast durchgehend über die nackten Hänge der Schlucht verteilt, entstanden mehr und mehr weiße Häuflein. Die ukrainischen »Packer« trieben ihre Menschenfracht zu diesen Häufchen und zwangen sie, sich darüber- oder danebenzulegen; daraufhin traten die Männer des Erschießungskommandos vor und schritten langsam die Reihen der fast nackten, ausgestreckt liegenden Menschen entlang und schossen jedem aus ihren Maschinenpistolen eine Kugel ins Genick; insgesamtgab es drei Exekutionskommandos. Zwischen den Erschießungen untersuchten einige Offiziere die Opfer und gaben ihnen, falls nötig, den Gnadenschuss mit der Pistole. Oben, den ganzen Schauplatz überblickend, stand eine Gruppe von SS- und Wehrmachtsoffizieren. Unter ihnen Jeckeln mit seinem Gefolge, Dr. Rasch an seiner Seite; auch einige hohe Dienstgrade der 6. Armee erkannte ich. Ich sah Thomas, der mich seinerseits bemerkte, meinen Gruß aber nicht erwiderte. Gegenüber eilten kleine Gruppen die Hänge der Schlucht hinab und verschmolzen mit den Leichenhaufen, die unaufhaltsam anwuchsen. Die Kälte wurde beißend, aber man ließ Rumflaschen kreisen, ich trank etwas. Blobel kam mit dem Wagen direkt auf unsere Seite der Schlucht gefahren, er musste einen Riesenumweg gemacht haben; er trank aus einem Flachmann und schimpfte wüst, brüllte, dass alles nicht schnell genug gehe. Dabei war die Sequenz der Erschießungen schon extrem beschleunigt worden. Die Schützen wurden jede Stunde abgelöst, und wer nicht schoss, versorgte die anderen mit Rum und füllte die Magazine auf. Die Offiziere sprachen wenig, einige versuchten, ihre Betroffenheit zu verbergen. Die Ortskommandantur hatte eine Batterie Feldküchen geschickt, und ein Militärpfarrer kochte Tee, damit sich die Orpos und die Angehörigen des Sonderkommandos aufwärmen konnten. Zum Mittagessen kehrten die höheren Offiziere in die Stadt zurück, während die subalternen blieben und mit den Männern aßen. Da die Exekutionen ohne Unterbrechung weitergehen sollten, hatte man etwas tiefer in einer Bodensenke, von der aus man die Schlucht nicht sah, die Essenausgabe eingerichtet. Die Einsatzgruppe war für die Verpflegung zuständig; als die Konserven ausgepackt wurden und die Männer die Rationen Blutwurst erblickten, begannen sie zu toben und zu schreien. Häfner, der eine Stunde lang Gnadenschüsse verteilt hatte, schleuderte die geöffneten Dosen brüllend zu Boden: »Was ist denn das für eineSauerei?« Geräuschvoll übergab sich hinter mir ein Mann der Waffen-SS. Auch mir war hundeelend, beim Anblick der Blutwurst drehte sich mir der Magen um. Ich wandte mich an Hartl, den Verwaltungsführer der Gruppe, und fragte ihn, was ihn auf diese aberwitzige Idee gebracht habe. Doch an Hartl, in seinen lächerlich groß bemessenen Reithosen verschanzt, glitt das alles ab. Daraufhin brüllte ich ihn an, es sei eine Schande: »In dieser Situation kann man doch wohl auf solche Nahrungsmittel verzichten!« Hartl wandte mir den Rücken zu und ging fort; Häfner warf die Konservendosen in einen Karton zurück, während ein anderer Offizier, der junge Nagel, versuchte, mich zu beruhigen: »Lassen Sie doch, Obersturmführer …« – »Nein, das ist nicht in Ordnung, an so was muss er einfach denken. Das gehört zu seinen Aufgaben.« – »Vollkommen richtig«, sagte Häfner und verzog angeekelt das Gesicht. »Ich hole was anderes.« Jemand reichte mir einen Becher Rum, den ich mit einem Schluck hinunterstürzte; er brannte, tat aber gut. Hartl war zurückgekommen und richtete seinen dicken Finger auf mich: »Obersturmführer, Sie haben nicht in einem solchen Ton mit mir zu reden.« – »Und Sie haben nicht zu … zu … zu …«, stammelte ich und wies auf die umgeworfenen Kisten. – »Ich darf doch bitten, meine Herren!«, fuhr Vogt scharf dazwischen.

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