Die Wohlgesinnten
»Kein Skandal, wenn es beliebt.«
Wir waren alle offensichtlich mit unseren Nerven am Ende. Ich ging ein paar Schritte zur Seite und aß ein bisschen Brot und eine rohe Zwiebel; hinter mir begannen die Offiziere eine heftige Diskussion. Wenig später waren die höheren Offiziere zurück, Hartl musste Rapport erstattet haben, denn Blobel kam auf mich zu, um mir in Dr. Raschs Namen eine Rüge zu erteilen: »Unter diesen Umständen hat man sich als Offizier zu benehmen.« Er befahl mir, Janssen zu vertreten, sobald der in der Schlucht abgelöst werden müsste. »Haben Sie Ihre Waffe? Ja? Ich will keine Memmen in meinemKommando, verstanden?« Er versprühte seinen Speichel, er war vollkommen betrunken und kaum noch Herr seiner selbst. Kurz darauf sah ich Janssen heraufsteigen. Er warf mir einen mürrischen Blick zu: »Sie sind dran.« Der Abhang war dort, wo ich mich befand, zu steil, um in die Schlucht hinabzuklettern, ich musste wieder ganz um sie herum und vom anderen Ende aus hinunter. In der Umgebung der Leichen war der sandige Boden von schwärzlichem Blut getränkt, auch der Bach war schwarz von Blut. Ein schrecklicher Gestank von Exkrementen überlagerte den Geruch des Blutes, viele mussten sich im Augenblick des Todes entleeren; glücklicherweise wehte ein kräftiger Wind und trug die Ausdünstungen teilweise davon. Aus der Nähe sah alles bei weitem nicht so ruhig aus: Die Juden, von den Askaris und Orpos getrieben, schrien vor Entsetzen auf, wenn sie oben an den Rand der Schlucht kamen und die Schreckensszenerie entdeckten, sie schlugen um sich, die »Packer« prügelten mit Stöcken und Kabelenden auf sie ein, um sie dazu zu zwingen, hinabzusteigen und sich hinzulegen, selbst am Boden schrien sie noch und versuchten, wieder hochzukommen, die Kinder klammerten sich genauso ans Leben wie die Erwachsenen, sie sprangen mit einem Satz auf und liefen davon, bis ein »Packer« sie wieder einfing und niederstreckte, häufig trafen die Schüsse nicht richtig und die Menschen waren nur verletzt, was die Schützen aber nicht kümmerte, die schon beim nächsten Opfer waren, die Verwundeten wälzten sich, krümmten sich, stöhnten in ihrer Qual, andere dagegen verstummten vor Schreck und waren wie gelähmt, die Augen weit aufgerissen. Die Soldaten kamen und gingen, feuerten Schuss um Schuss ab, fast ohne Unterbrechung. Ich war wie versteinert, wusste nicht, was ich tun sollte. Grafhorst kam zu mir und schüttelte mich am Arm: »Obersturmführer!« Er deutete mit seiner Pistole auf die Leiber. »Versuchen Sie, den Verwundeten den Rest zugeben.« Ich zog meine Pistole und ging auf eine Gruppe zu: Ein sehr junger Mann brüllte vor Schmerz, ich richtete die Pistole auf seinen Kopf und betätigte den Abzug, doch der Schuss löste sich nicht, ich hatte vergessen, die Waffe zu entsichern, ich legte den Sicherungshebel um und schoss dem Mann eine Kugel in die Stirn, er zuckte auf und verstummte augenblicklich. Manchmal musste man, um an die Verwundeten heranzukommen, über die Leichen gehen, das war entsetzlich glitschig, das weiche, weiße Fleisch verschob sich unter meinen Stiefeln, die trügerischen Knochen brachen unter meinen Schritten und ließen mich straucheln, ich versank bis zu den Knöcheln in Schlamm und Blut. Es war entsetzlich und erfüllte mich mit unüberwindlichem Ekel, wie an dem Abend in Spanien, in der Latrine mit den Küchenschaben, ich war noch klein, mein Stiefvater war in den Ferien mit uns nach Katalonien gefahren, wir wohnten in einem Dorf, und eines Nachts bekam ich Durchfall, lief, mit einer Taschenlampe bewaffnet, zur Latrine ganz hinten im Garten, und das Loch, das tagsüber sauber war, wimmelte von riesigen Küchenschaben, was mich in Schrecken versetzte, ich versuchte den Stuhldrang zu unterdrücken und ging wieder schlafen, aber das Rumoren im Bauch war zu stark, im Zimmer gab es keinen Nachttopf, ich fuhr in meine riesigen Gummistiefel und kehrte zur Latrine zurück, wobei ich mir sagte, ich könnte ja die Schaben mit Fußtritten verjagen und ganz schnell machen, ich streckte den Kopf durch die Tür, um den Boden zu beleuchten, als ich einen Widerschein an der Wand bemerkte, ich richtete den Strahl meiner Lampe darauf: Auch auf der Wand wimmelte es von Schaben, auf allen Wänden, selbst an der Decke über der Tür, langsam wandte ich den Kopf, den ich durch die Tür gestreckt hatte, da waren sie auch, eine schwarze wimmelnde Masse, und daraufhin zog ich den Kopf langsam, sehr langsam zurück
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