Die Wolfsjägerin: Roman (German Edition)
Dimitri seinen eigenen Mantel ab. Dann bot er Billi den Arm.
»Wollen wir?«
Sie gingen den Pfad entlang auf die Flammen zu. Musik dröhnte über den Nachthimmel, eine Kakophonie aus misstönenden Rhythmen, Trommeln und Gitarren, und langsam konnte Billi Menschengrüppchen ausmachen, die sich wie Stämme rings um das offene Zentrum des Parks scharten.
Feuertänzer ließen lange Ketten, an denen Feuerbälle befestigt waren, in makellosen Bahnen aus goldenem Licht um ihre Körper wirbeln. Es waren Dutzende: Manche standen im Wettbewerb miteinander, andere taten sich nur groß oder feuerten einander an. Große Stahltonnen standen überall im Park: Jede war eine Feuerstelle, um die sich einer der Stämme versammelt hatte.
Trotz der Temperaturen unter null hatten einige der Männer nackte Oberkörper; die kreisenden Feuerbälle warfen sich ständig wandelnde Muster aus Licht und Schatten auf die Konturen ihrer Körper.
»Koschtschei gefällt es nicht, wenn ich herkomme«, erklärte Iwan. »Er sagt, dass ich mich nicht ›mit dem einfachen Volk abgeben‹ sollte.«
»Findest du das auch?« Sie war vorher noch nie einem richtigen Mitglied einer Herrscherfamilie begegnet. Ihre eigenen Vorfahren waren durchgehend antimonarchistisch eingestellt gewesen. Die SanGreals hatten sich an der Französischen Revolution beteiligt und waren dem Königshaus nur dann nahe gewesen, wenn sie die Guillotine betätigt hatten.
»Adel hat nichts mit Wappen oder Titeln zu tun, Billi.« Er nickte in Richtung der Tänzer. »Ich werde nie so frei sein wie sie. Jeder Augenblick meines Lebens ist nur einem einzigen Zweck geweiht. Die Bogatyri anzuführen. Die unter mir Stehenden zu schützen. Und da ich ein Romanow bin, heißt das: ganz Russland.« Er seufzte. »Deshalb gefällt es mir hier. Für einen kurzen Augenblick kann ich vergessen, wie es ist, Iwan Alexejewitsch Romanow zu sein.«
Billi berührte seine Hand. Iwan nahm alles so ernst. Als sie ihn kennen gelernt hatte, hatte sie erst gedacht, er würde nur auf schicke Kleidung und einen komfortablen Lebensstil Wert legen, aber er war mehr als das. Sie wusste, wie er sich fühlte. Bedeutete es für sie nicht dasselbe, Templerin zu sein? Sie waren beide einem Leben in Pflichterfüllung geweiht, nichts anderem.
»Wenn du mich fragst«, sagte Billi, »machst du deine Sache gut.«
»Wenn Koschtschei mich lässt.« Iwan packte ihre Hand. »Ich bin nicht so naiv, dass ich glauben würde, dass er mir einfach alles übergeben wird, sobald ich achtzehn werde. Er wartet nur darauf, dass ich einen Fehler mache.«
»Hör mal … Wenn du hierfür Ärger bekommen wirst, können wir gehen.«
»Ich habe schon genug Ärger.« Er winkte einer der Tänzerinnen zu. Das Mädchen lächelte und wirbelte dabei zwei brennende Ketten um ihren Körper, so dass sie von einem weißglühenden Muster umhüllt wurde.
»Weil du mir geholfen hast?« Billi hätte wissen sollen, dass es für Iwan immer Konsequenzen geben würde. »Das tut mir leid.«
Iwan runzelte die Stirn. »Entschuldige dich nicht. Du hast dich für dieses Kind eingesetzt und es beschützt. Das hätte ich tun sollen.«
»Du hast den Bogatyri getrotzt.« Sie dachte über das Gespräch nach, das sie im Aufzug geführt hatte – dass Iwan ein naiver Idealist sei. »Du hast Koschtschei getrotzt.«
»Nur, weil ich dir gefolgt bin.« Iwan hob die Hand an ihre Wange. »Du hast diese Wirkung auf Menschen. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
Billi lachte und versuchte so zu überspielen, wie sehr sie die Wärme seiner Berührung in ihrem Gesicht verstörte. Aber sie wich nicht aus. »Folge mir nicht. Ich habe eine schlechte Wirkung auf Menschen.«
»Weißt du, wie es ist, ein Adliger zu sein?«, fragte er, eher an sich selbst als an Billi gerichtet. Er starrte ins Feuer, und das orangefarbene Glühen der Flammen überzog ihn mit Gold. »Es bedeutet, ein Ideal zu haben, nach dem man strebt. Ganz gleich um welchen Preis. An etwas Wichtigeres als sich selbst zu glauben.«
»Ich hatte einen Freund, der genauso gedacht hat. Einen sehr guten Freund.« Ein rauer, dicker Kloß, ein unterdrücktes Schluchzen, saß Billi in der Kehle, als sie an Kay zurückdachte. Iwan ähnelte ihm so und war doch völlig anders. Ihr kamen die Tränen, und sie versuchte, sie zu unterdrücken. Was hätte Kay davon gehalten, dass sie mit Iwan unterwegs war? Iwan, dem Prinzen, dem Edelmann. Auch Kay war ein edler Mann gewesen.
Iwan riss den Blick von den Flammen los und sah
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