Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wolke

Die Wolke

Titel: Die Wolke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudrun Pausewang
Vom Netzwerk:
Höchstens wie meine Eltern und Großeltern.«
    »Ich kann's eben nicht anders ausdrücken«, sagte Tünnes verlegen.
    »Sieh mich gut an«, sagte sie. »Und merk dir, wie ich mit Haaren aussehe: In ein paar Tagen bin ich kahl.«
    »Äußerlichkeiten«, sagte er.
    »Glaubst du, daß ein Junge sich in ein Mädchen mit Glatze verlieben kann?« fragte sie.
    Er sah sie an, dann hob er den Kopf, starrte auf eine Wandtafel, die den Kreislauf des Wassers darstellte, und sagte bedächtig: »Haare sind unwichtig. Wer das anders sieht, für den bist du zu schade.«
    Er nickte ihr zu und ging weiter. Sie sah ihm nach und versuchte, ihre Tränen hinunterzuschlucken. Als sie später in den Saal zurückkehrte, erzählte sie Ayse, was Tünnes zu ihr gesagt hatte.
    »Bei uns ist das anders«, sagte Ayse finster.
    »Es heißt, sie wachsen nach«, sagte Janna-Berta. »Aber ich glaub's nicht. Ich glaub gar nichts mehr.«
    »Gar nichts mehr?« fragte Ayse. »Auch nicht, daß deine Eltern noch leben?«
    Janna-Berta dachte nach.
    »Doch«, sagte sie dann. »Ich glaub, das glaub ich.«
     
    Am nächsten Morgen lächelte Janna-Berta Tünnes entgegen. Er grinste zerstreut zurück.
    »Habt ihr Worte!« rief er. »Jetzt meutern die Franzosen rund um ihre eigenen Meiler! Und ihre Regierung beteuert in alle Richtungen, ihre KKWs seien die sichersten der Welt. So was wie in Grafenrheinfeld könnte bei ihnen nie passieren!«
    »Hab ich das nicht schon mal gehört?« fragte der Arzt, der gerade vorüberkam.
    Tünnes beugte sich über Janna-Berta. »Und was sagst du zu dem Rabatz bei den Franzosen?« fragte er.
    »Nichts«, sagte sie und drehte sich zur Wand.
    Sie hatte hohes Fieber, der Durchfall wollte nicht aufhören. Und ihr Laken war übersät von Haaren. Ganzen Haarbüscheln. Ein paar Tage lang kämmte sie sich nicht. Aber einmal griff ihr Ayse ins Haar und behielt die Hand voll Strähnen. Auf Janna-Bertas Kopf blieb eine große kahle Stelle zurück.
    »Da siehst du«, sagte Ayse und lachte.
    Janna-Berta schlug ihr ins Gesicht. Sie ließ sich von der Schwester einen Kamm geben und kämmte sich lange und wütend: Danach war sie kahl bis auf ein paar schüttere Härchen über den Ohren. Sie wühlte die Mütze unter dem Kopfkissen hervor und zog sie sich über.
    Tünnes hatte eine Neuigkeit für sie: »Du stehst jetzt in der Suchkartei – mit deiner hiesigen Adresse!«
    Die Nachricht brachte Janna-Berta ganz durcheinander. Nie hatte sie an die Möglichkeit gedacht, selber in der Kartei zu stehen.
    »Jetzt werden deine Angehörigen bald auftauchen«, sagte Tünnes.
    Janna-Berta versank in Gedanken. Wenn die Eltern und Jo noch am Leben waren, würden sie bestimmt beim Suchdienst des Roten Kreuzes nach ihr forschen. Es konnte noch wahr werden, daß eines Tages, vielleicht schon heute oder morgen, die Tür aufging, und Mutti oder Vati –
    Ayse bemühte sich, das Tuch, das ihr vom Kopf gerutscht war, wieder zu binden. Aber sie war zu schwach. Der Schweiß brach ihr aus.
    »Hilf mir«, bat sie.
    Janna-Berta tat, als hörte sie nichts. Seit Ayse ihr ins Haar gegriffen hatte, sprach sie nicht mehr mit ihr. Sie zog sich die Mütze tiefer über die Ohren und legte sich so, daß sie die Saaltür im Auge behalten konnte.

8
    Vier Tage später spürte Janna-Berta im Halbschlaf, daß sich jemand über sie beugte.
    »Janna-Berta«, sagte eine Frauenstimme leise, und eine kühle Hand berührte ihren Arm.
    Janna-Berta fuhr zusammen und riß die Augen auf. Aber es war niemand von denen, die sie erwartete, sondern Helga. Helga Meinecke aus Hamburg, Vatis Schwester.
    »Da bist du also«, sagte Helga. »Warum bist du so spät in die Suchkartei gekommen? Ich dachte schon, du wärst mit deinen Eltern –«
    »Wieso?« fuhr Janna-Berta auf. »Was ist mit ihnen?«
    Helga sah sie betroffen an: »Weißt du denn nicht –?«
    Janna-Berta schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, ihre Augen füllten sich mit Tränen. Dann stieß sie trotzig heraus: »Woher willst du das wissen? Sie stehen doch nicht in der Liste –«
    Helga faßte ihre Hände und nickte. »Doch«, sagte sie. »In der Liste der Toten stehen sie – wenn es das ist, was du meinst.«
    »Auch Kai?« fragte Janna-Berta fast tonlos.
    »Ja.«
    »Auch Jo?«
    »Auch Jo.«
    Da fing Janna-Berta an zu schreien. Sie schrie laut und schrill. Die Kinder im Saal starrten sie erschrocken an, und ein paar Kleine schrien mit. Tünnes kam in den Saal gestürzt, hinter ihm eine Schwester. Sie schoben

Weitere Kostenlose Bücher