Die Wolke
schwarze Mütze, halb Baskenmütze, halb Barett. Man sah ihr an, daß sie viel gekostet haben mußte. Janna-Berta legte sie auf den Rücksitz.
»Ich würde sie aufsetzen«, sagte Helga mit einer senkrechten Falte zwischen den Brauen. »Viele Leute reagieren komisch, wenn sie merken, daß jemand aus der verseuchten Gegend kommt. Es gibt sogar Hotels, die den Evakuierten Unterkunft verweigern, wenn – wenn die Krankheit deutlich sichtbar ist. Sie sagen, das vertreibt ihnen die Kundschaft.«
»Ich verstehe«, sagte Janna-Berta hart. »Sie wollen nicht daran erinnert werden.«
»Wie gesagt, ich würde die Mütze aufsetzen«, sagte Helga.
Janna-Berta griff nicht nach der Mütze.
»Ich will sie aber daran erinnern«, sagte sie. Sie lehnte sich zurück, spürte den sommerlich warmen Fahrtwind angenehm über ihren Kopf streichen und sog den würzigen Fichtenduft ein, der in der Luft lag. Wie wunderbar war der Wald! So lange hatte sie nur weiße Wände gesehen.
»Mach's uns doch nicht schwerer, als es schon ist«, sagte Helga.
»Ich hab nichts zu verstecken«, sagte Janna-Berta schroff.
»Wie du willst«, antwortete Helga. »Aber du schadest dir selber.«
Sie fuhr auf kleinen Nebenstraßen bis nach Eschwege, immer nahe der Grenze. Um das verseuchte Gebiet schlug sie einen großen Bogen. Janna-Berta lernte auf dieser Fahrt, daß auch angeblich nichtbetroffenen Gegenden mißtraut wurde. Denn Helga war entsetzt, als sich Janna-Berta während einer kurzen Rast ins Gebüsch hocken wollte.
»Das ist doch alles verseucht!« rief sie.
»Ich auch«, sagte Janna-Berta. »Hast du das vergessen?«
Sie fuhren mit geschlossenen Fenstern, obwohl es sehr warm war. »Sicher ist sicher«, meinte Helga. Sie ließ Janna-Berta auch nicht aus einer eingefaßten Quelle trinken. »Man kann nie wissen«, sagte sie.
Erst bei Göttingen wagte sie sich auf die Autobahn Kassel-Hamburg. Sie aßen zusammen in einer Raststätte. Janna-Berta traute ihren Augen nicht, als sie die Preise sah.
»Das Fleisch ist aus Übersee, und das Gemüse auch«, erklärte Helga. »Nur die Kartoffeln sind deutsch. Noch aus der alten Ernte. Im nächsten Jahr werden auch die Kartoffeln von anderswo herkommen müssen – für die, die's bezahlen können.«
»Und was essen die, die's nicht bezahlen können?« fragte Janna-Berta.
»Das Billigere«, antwortete Helga.
Janna-Berta nickte: Das also würde der neue Unterschied zwischen Arm und Reich sein.
Den verstohlenen Blicken der übrigen Gäste begegnete sie herausfordernd. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte schrill. Daß eine Gruppe vom Nachbartisch aufstand und sich an einem entfernteren Tisch niederließ, versuchte sie zu ignorieren. Erst als sie wieder im Wagen saß, wurde sie stumm vor Angst.
9
Während der ersten Tage in Hamburg wunderte sich Janna-Berta, wie normal das Leben fernab von Grafenrheinfeld verlief. Bei Helga war es, wenn man die Trauerkleidung, die gedämpfte Stimmung, die beiden Friemels und die täglichen Stromsperrstunden übersah, nicht anders als während der früheren Besuche. Janna-Berta hatte ein eigenes Zimmer und war von Helga reichlich mit neuer Wäsche und gediegener, dunkler Kleidung ausgestattet worden. Sogar einen Plattenspieler, einen nicht billigen, hatte ihr Helga ins Zimmer gestellt, dazu eine Auswahl von Platten: klassische Musik von Bach bis Orff.
Auch der Unterricht in den Hamburger Schulen, nach der Katastrophe für drei Wochen unterbrochen, hatte wieder begonnen. Helga, Oberstudienrätin für Mathematik und Chemie, ging morgens fort und kam mittags heim. Nachmittags saß sie stundenlang an ihrem Schreibtisch, bereitete sich für den nächsten Tag vor, schrieb Briefe oder korrigierte Hefte. Oft war sie auch unterwegs nach unverseuchten Lebensmitteln. Als Janna-Berta sie begleiten wollte, winkte sie ab: Das Suchen und Herumhorchen, das Hin- und Herrennen und Schleppen sei für sie noch zu anstrengend. Sie solle sich erst einmal ausruhen.
Aber es wurde nicht viel aus der Ruhe. Denn Helga nahm ihre Verantwortung sehr ernst. Und so ließ sie Janna-Berta von mehreren Ärzten untersuchen – bekannten Spezialisten, wie sie betonte. Danach blieb Janna-Berta in ärztlicher Behandlung, mußte Medikamente schlucken und stundenlang in Wartezimmern herumsitzen. Wenn sie die Ärzte fragte, zuckten sie mit den Schultern.
»Wir haben noch kaum Erfahrung mit der Strahlenkrankheit«, sagten sie. »Es ist gut möglich, daß deine Haare wieder wachsen. Aber ganz sicher können
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