Die Wolke
rief Helga. »Hätte ich dich dann zu mir geholt? Ich hab's mir, weiß Gott, nicht leicht mit dir gemacht.«
»Ich will allein dafür verantwortlich sein, was mit mir wird«, sagte Janna-Berta schroff.
»Mit deinen fünfzehn Jahren?« fragte Helga mit einem spöttischen Unterton. »Und in deinem – deinem Zustand?«
»Hier fragt niemand nach meinem Alter«, sagte Janna-Berta. »Und ich lebe unter Leuten, denen es genauso dreckig geht wie mir.«
»Ich möchte, daß du nach den Ferien wieder nach Hamburg kommst«, sagte Helga. »Dort habe ich die Rente für dich beantragt, und für Hamburg hast du die Wohngenehmigung.«
»Die habe ich auch schon für hier«, sagte Janna-Berta. »Almut hat sie mir besorgt. Ich hab sie ganz schnell bekommen.«
Helga blieb eine Weile stumm. Dann sagte sie: »Du hast alle deine Schulsachen in Hamburg gelassen. Wie willst du die Lücken aufholen?«
»Ich komme nicht wieder nach Hamburg, und ich gehe auch nicht mehr zur Schule«, sagte Janna-Berta heftig.
Helga bemühte sich, Ruhe zu bewahren. »Wie stellst du dir eine Zukunft ohne Schulbildung vor?« fragte sie.
»Zukunft«, sagte Janna-Berta finster. »Weißt du, ob ich eine hab? Ich weiß es nicht. Aber das bißchen Leben, das mir vielleicht bleibt, will ich so leben, wie ich will. Als ob's für unsereinen nichts Wichtigeres gäbe als die Schule!«
»Und was ist das, was wichtiger ist als die Schule?« fragte Helga.
»Daß ich hier lebe«, sagte Janna-Berta. Als Helga nicht verstand, fügte sie hinzu: »Daß ich hier lebendig bin.«
Helga verstand noch immer nicht.
»Gut«, sagte sie, »die Schulpflicht hast du hinter dir. Aber wenn du dich ernstlich entschließt, die Schule nicht weiter zu besuchen, wird das Konsequenzen haben. Ohne Abitur hast du keine großartigen Aussichten.«
Janna-Berta antwortete nicht mehr. Sie spülte Geschirr.
»Es war nicht schön von dir«, sagte Helga nach einer Pause, »daß du mich zwei Wochen vor deinem Geburtstag hast sitzenlassen.«
»Tut mir leid«, sagte Janna-Berta und drehte sich um. »Entschuldige. Es war eine Flucht.«
»Ich habe allen, die wir eingeladen hatten, abschreiben müssen«, sagte Helga. »Ich habe ihnen erklärt, daß dir, nach all dem, was du durchgemacht hast, nicht nach feiern zumute ist.«
Sie nahm eine Handvoll Briefe aus ihrem Täschchen.
»Einige haben schon geantwortet«, sagte sie. »Sie verstehen dich.«
»Sind es Briefe an mich?« fragte Janna-Berta.
»Ja«, sagte Helga. Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Ich habe sie gelesen, ja. Schließlich waren sie Antworten auf meinen Brief.«
Janna-Berta beugte sich über einen Topfund schrubbte ihn.
»Werdet ihr heute Geburtstag feiern?« fragte Helga.
Janna-Berta drehte sich um. Ihre Blicke begegneten sich.
»Die anderen wissen gar nicht, daß ich heute Geburtstag hab«, sagte sie. »Und wahrscheinlich hätte ich's selber verschwitzt, wenn du mich nicht daran erinnert hättest.«
Helga schüttelte den Kopf. Sie klappte ihr Köfferchen auf und nahm einen Stapel Wäsche heraus.
»Das hast du auch in Hamburg gelassen«, sagte sie. »Und deine Kleider. Ich sehe, du trägst wieder sehr bunt. Und da ist die Perücke. Vielleicht willst du sie eines Tages doch benutzen.«
Sie reichte Janna-Berta ein Kuvert aus Büttenpapier über den Tisch. »Dein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie. »Kauf dir selber davon, was du brauchst oder was du dir wünschst.«
Janna-Berta dankte und bot Helga ihre Luftmatratze für die Nacht an. Aber Helga lehnte ab. Sie habe schon ein Hotelzimmer in der Stadt. Bevor sie ging, sagte sie noch: »Oma Berta und Opa Hans-Georg werde ich vorerst nur schreiben, daß du deine Sommerferien bei Almut in Wiesbaden verbringst.«
Janna-Berta antwortete mit einem Achselzucken.
»Ich gratuliere dir zum Geburtstag«, sagte Helga, als sie vor die Kellertür traten, »und wünsche dir ein Leben, wie du es dir wünschst. Solltest du eines Tages nach Hamburg zurückkommen wollen, dann tu's. Ich warte. Ich hoffe, daß du's tust. Denn außer meinen Eltern bist du die nächste Verwandte, die mir geblieben ist. Weißt du, was das heißt? Ich wollte dich als meine Tochter betrachten. Wir tragen den gleichen Familiennamen. Und – glaub mir – ich hätte dir viele Tore öffnen können!«
Sie drehte sich um und ging fort. »Grüß Almut und Reinhard von mir!« rief sie, schon auf halbem Weg zur Kastanienallee. »Sag ihnen, ich wünsche ihnen alles Gute.«
Janna-Berta kehrte ins Haus zurück. Sie sah ihr
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