Die Wolke
weiterzumühen.
»Wolltest du nicht alles hinschmeißen?« fragte Janna-Berta beim ersten Mal erstaunt.
»Was geb ich auf mein dummes Geschwätz von gestern«, sagte Almut leichthin und lief zum Bus.
Anfangs hatte die Hausbesitzerin einige Male gegen Janna-Bertas Anwesenheit gewettert. Ihre Stimme hatte durch das Treppenhaus gehallt. Janna-Berta hatte ihr antworten wollen, aber Paps hatte ihr davon abgeraten.
»Pflück ihr einen Blumenstrauß«, hatte er gemeint. »Wenn sie etwas besänftigen kann, dann am ehesten so was. Man muß sie auch zu verstehen versuchen. Für sie sind wir die Katastrophe.«
Janna-Berta pflückte hinter den Wartturm-Kastanien einen Feldblumenstrauß, den Paps einmalig schön fand, und brachte ihn der Hausbesitzerin hinauf. Das Gesicht der alten Dame verfinsterte sich, als sie die Tür öffnete. Aber sie nahm den Strauß an. Mit einem unsicheren Blick auf Janna-Bertas Kopf bedankte sie sich knapp und schloß die Tür. Seitdem schimpfte sie jedenfalls nicht mehr durchs Treppenhaus herunter.
Ein paar Tage später kam Almut auffallend still nach Hause. Sie hatte eine ehemalige Kollegin in einem Frankfurter Krankenhaus besuchen wollen, aber sie war zu spät gekommen.
»Leukämie«, sagte sie, »viel zu spät entdeckt.«
Janna-Berta erfuhr, daß die Frau zwei kleine Mädchen von drei und fünf Jahren hinterließ. Sie hatte – wie Almut – in Bad Kissingen gewohnt und auch in Hammelburg unterrichtet und war nach dem Katastrophenalarm nach Bad Kissingen zurückgefahren, um ihre Kinder zu retten. Sie hatte ihren Wagen an der Absperrung stehengelassen und war zu Fuß durch die Stadt gelaufen – vergeblich: Die Kinder waren schon mit dem Kindergarten evakuiert worden. Viel zu spät, mit den Letzten, verließ die Frau die Stadt.
Nun hatte die Großmutter die Kinder bei sich. Aber sie konnte sie auf die Dauer nicht behalten. Sie war schon über siebzig und kränklich, und es waren sehr lebhafte Kinder.
»Und der Vater?« fragte Janna-Berta.
Die Frau hatte nie geheiratet und ihre Kinder allein erzogen.
»Kannst du dich an die beiden erinnern?« fragte Almut, an Reinhard gewandt. »Sie hatte sie auf dem Betriebsausflug mit. Süße kleine Racker.«
Reinhard nickte. »Die beiden, die immer abwechselnd geplärrt haben«, sagte er. »Sie waren nicht zu überhören.«
»Oberlehrer«, sagte Almut trocken.
Reinhard hob den Blick und sah sie an. »Mit anderen Worten, du möchtest die beiden –?«
Sie nickte und lachte. Er schaute zu Paps. Der nickte auch.
»Und was meint Janna-Berta?« fragte er.
»Natürlich!« rief sie.
Almut und Reinhard ließen alles stehen und liegen und gingen hinaus. Janna-Berta sah ihnen nach. Sie wanderten lange unter den Kastanien herum, immer im Kreis, und sprachen miteinander. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt, sie ihren Arm um seine Hüfte.
»Da kommt dann wohl Leben in die Bude«, sagte Paps. »Und Arbeit, was?«
Janna-Berta nickte. Er lächelte, und sie lächelte zurück.
»Falls du es nicht weißt«, erklärte er ihr, »Kinder können einem schrecklich auf die Nerven fallen.«
»Meine Mutter hat immer gesagt, ich kann's mit Kindern«, sagte Janna-Berta.
»Na dann –«, sagte Paps heiter. »Jetzt brauchen wir nur noch eine größere Wohnung.«
Am Vormittag ihres Geburtstags war Janna-Berta allein zu Hause. Sie hatte eine Schürze von Almut um und kochte Reissuppe, als es an die Kellertür klopfte. Es war Helga. Sie trug ein Reisekostüm und hatte ein Köfferchen bei sich.
»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du zu Almut willst?« fragte sie, als sie, sehr steif, auf Paps' Couch saß.
»Weil ich Angst hatte, du könntest mich überreden dazubleiben«, antwortete Janna-Berta. »Du hast immer gleich so vernünftige Argumente.«
Sie brühte Kaffee auf und balancierte eine volle Tasse aus der Kochecke auf den Couchtisch. Natürlich schwappte ein bißchen heraus. Helga hätte nie eine Tasse mit Fußbad angeboten. Janna-Berta kehrte trotzdem nicht um.
»Warum hast du nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen, wohin du gegangen bist?« fragte Helga.
»Ich dachte, für dich ist das klar, wohin ich gehe.«
Helga rührte in ihrer Tasse und lehnte sich zurück.
»Dein Kärtchen aus Wiesbaden hat nicht viel geklärt«, sagte sie. »Eigentlich gar nichts. Es hat nur meine Vermutung bestätigt, daß du hier bist. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«
»Warst du nicht froh, mich los zu sein?« fragte Janna-Berta.
»Was sagst du da?«
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