Die Wolke
rot in der Abendsonne.
»Tut mir leid wegen vorhin«, sagte Almut. »Ich bin ein bißchen ausgerastet.«
»Werdet ihr die Kinder wieder abgeben?« fragte Janna-Berta.
Almut setzte sich gerade und warf den Kopf zurück.
»Aber nein«, sagte sie. »Vergiß mein Geheule von vorhin. Ich hab nur endgültig Abschied genommen von ein paar Träumen.«
»Bist du sicher, es war endgültig?« fragte Reinhard.
Almut sah ihn groß an und hob die Schultern. Dann lief sie ins Haus.
»Setzt euch doch mit zu uns!« hörte Janna-Berta sie rufen.
Paps kam heraus und setzte sich neben Janna-Berta. Erst eine Weile später erschienen auch Almut und die Großmutter. Almut trug einen Stuhl für sie und schob ihn ihr unter.
»Wir haben noch was beschließen müssen«, sagte sie. »Wir haben beschlossen, daß Großmutter weiter bei uns wohnen bleibt–«
»– wenn niemand was dagegen hat«, sagte die Großmutter.
»Niemand!« rief Janna-Berta.
Die Einweihung des Zentrums rückte näher, Termine drängten, Demonstrationen standen an. Scharenweise zogen deutsche Demonstranten über die französische Grenze, um sich am Widerstand der französischen Bevölkerung gegen die Atommeiler zu beteiligen. Während Paps und die Großmutter die Kinder hüteten, fuhren Almut, Reinhard und Janna-Berta mit einer Gruppe von Freunden nach Cattenom. Sie mußten über Feldwege wandern, denn die Franzosen hatten den Grenzübergang geschlossen. Auch andere Gruppen tauchten zwischen den Feldern auf und schlossen sich ihnen an. Unter ihnen entdeckte Janna-Berta plötzlich die Hofmanns und die Jordans aus Schlitz. Herr Jordan war mager geworden, Frau Jordan hatte Hosen an und einen Parka, und Janna-Berta fand, daß sie ungemein komisch darin aussah.
»Janna-Berta!« rief Tina Hofmann, lief auf sie zu und umarmte sie. Tina hatte noch ihren Lockenschopf, obwohl sie Schlitz erst Stunden nach ihr verlassen haben mußte. Die Hofmanns waren wohl nicht in den Gewitterregen geraten.
»Du Arme«, sagte Tina.
Janna-Berta schluckte.
»Sie wachsen ja wieder«, sagte sie fast feindselig. »Siehst du den Flaum?«
»Tina meint den Tod deiner Eltern und deiner kleinen Brüder«, sagte Frau Hofmann.
Janna-Berta mußte erzählen, wo sie jetzt wohnte und wie es ihr ergangen war.
»Du hast dich verändert«, sagte Frau Jordan. »Als wir dich das letzte Mal gesehen haben, warst du noch ein Kind.«
»Wir haben uns ja auch verändert«, sagte Herr Jordan.
»Und deine Großeltern?« fragte Frau Hofmann.
Janna-Berta erzählte, daß sie noch immer auf Mallorca seien. Nein, sie wüßten noch nichts von Vatis und Muttis Tod und dem Tod der Brüder.
»O mein Gott«, sagte Frau Jordan. »Was steht ihnen da noch bevor! Wenn demnächst die Sperrzone DREI freigegeben wird, werden sie ja bald heimkommen.«
Herr Hofmann trieb die Gruppe an. Der Abstand durfte nicht zu groß werden. Tina blieb neben Janna-Berta. Sie liefen durch Nebel. Dann fing es an zu nieseln. Janna-Berta erfuhr, daß man für den ersten Oktober mit der Freigabe rechnete.
»Jordans wollen gleich heim«, erzählte Tina. »Am ersten Tag. Wegen ihrem Garten. Frau Jordan würde lieber noch abwarten, aber er ist nicht zu halten. Auch die Bauern aus dem Schlitzerland wollen sofort nach Hause. Sie müssen ja noch die Ernte unterpflügen, bevor der Winter kommt.«
Andere, so erfuhr Janna-Berta, wollten gar nicht mehr heim. Eggelings zum Beispiel. Sie fürchteten ein zu großes Risiko für die Gesundheit. Das Gift säße ja noch wer weiß wie lange im Boden, und alles, was man äße oder auch nur berühre, sei verseucht. Eggelings lebten jetzt an der holländischen Grenze bei Verwandten, dort wollten sie auch bleiben. Sie waren Rentner. Sie konnten leben, wo sie wollten.
»Und ihr?« fragte Janna-Berta.
»Wir wandern aus«, sagte Tina. »Nach Kolumbien. Wir warten nur noch, bis wir das Geld zusammenhaben. Europäer müssen neuerdings eine Kaution hinterlegen, wenn sie für immer ins Land wollen. Und die Überfahrt kostet auch eine Menge. Aber sie nehmen einen auch auf, wenn man verseucht ist.«
Kolumbien? Früher hatte sie sich immer brennend gewünscht, einmal Südamerika zu durchreisen. Jetzt dachte sie an das Haus am Hang. Sie sah es in der Sonne leuchten. Unten lag die kleine Stadt. Die Konturen der beiden Burgen und des dicken Hinterturms zeichneten sich vor dem Himmel ab, dazwischen der schlanke Turm der evangelischen Kirche.
Schlitz war der schönste Ort der Welt.
Als sie die anderen Gruppen
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