Die Wolke
durchs Fenster nach, während sie Kleider, Wäsche und Perücke in ein Regal stopfte. Unter den großen Kastanien blieb Helga noch einmal stehen und schneuzte sich.
Abends breitete Almut wieder ihre Arbeit aus: Briefe waren zu schreiben, Plakate zu entwerfen, Hinweisschilder zu malen. Drei Hibakusha aus Mainz, zwei junge Männer und ein Mädchen, halfen mit. Sie setzten sich an den Tisch, Janna-Berta und Almut pinselten auf dem Fußboden. Fast beiläufig erzählte Janna-Berta von Helgas Besuch. Sie zog das zerknitterte Kuvert aus der Hosentasche und öffnete es. Drei Hundertmarkscheine lagen darin. Sie stopfte sie in die Spendenbüchse.
»Mein Geburtstagsgeschenk«, sagte sie.
»Du hast heute Geburtstag?« fragten die anderen überrascht.
Sie räumten Briefe, Pinsel, Farben und Plakate weg und ließen Janna-Berta hochleben. Paps, noch etwas wackelig auf den Beinen, machte in der Kochecke einen Salat aus Vor-Katastrophen-Kartoffeln.
»Was ganz Feines«, sagte er. »Teuer wie Kiwis und so gut wie nicht mehr erhältlich. Noch vor einem halben Jahr hätten wir die verschrumpelten Dinger weggeworfen. Ich hab sie für einen festlichen Anlaß eingekauft, und den haben wir jetzt.«
Almut kramte eine Flasche Wein aus dem Kleiderschrank im Schlafzimmer, Reinhard fand eine Flasche Maracuyasaft im Kühlschrank und dichtete ein Geburtstagsgedicht:
Heut gibt es Wein und Kartoffelsalat, weil Janna-Berta Geburtstag hat. Sie gleicht den Kirschenblüten – ein Engel soll sie behüten!
Janna-Berta schossen Tränen in die Augen, während sie lachte.
»Du darfst nicht daran denken, wie es früher war«, flüsterte ihr Almut zu. »Denk lieber nach vorn.«
»Nach vorn?« Janna-Berta schluchzte.
Almut umarmte sie. »Alles Gute zum Geburtstag!«
Sie ließ sie wieder los und starrte plötzlich wie gebannt auf Janna-Bertas kahlen Kopf, faßte ihn mit beiden Händen, zog ihn zu sich heran, strich sanft über ihn und rief: »Deine Haare wachsen wieder, Mädchen! Du hast schon Flaum!«
Janna-Berta lief zum winzigen Toilettenspiegel.
»Es ist wahr!« jubelte sie. »Sie kommen! Ich werde wieder Haare haben!«
Sie tanzte im Zimmer herum, außer sich vor Freude. Die anderen tanzten mit, auch der eine der Mainzer Gäste, der selber einen Kahlkopf hatte. Sie waren so laut, daß die Hausbesitzerin doch wieder durchs Treppenhaus herunterschimpfte.
13
Es war ein hektischer Sommer. Reinhard hatte eine größere Wohnung aufgetrieben, ein ziemlich vergammeltes Wochenendhaus zwischen den Weinbergen von Wiesbaden-Frauenstein. Die Flüchtlinge, die bisher darin einquartiert gewesen waren, hatten sich aus Angst vor dem Winter eine andere Unterkunft gesucht. Denn das Haus hatte keinen Ofen und keine Heizung, nur einen offenen Kamin.
»Wir lassen einfach alle Zimmertüren offen«, sagte Reinhard.
Paps machte ein skeptisches Gesicht.
»Wie sich die Zeiten ändern«, meinte er. »Früher hätten die Behörden nie und nimmer erlaubt, daß so etwas dauernd bewohnt wird.«
»Ach Paps«, rief Almut, »du hast ja recht. Im Januar werden wir dort Eiszapfen an der Nase haben. Aber die Sommer! Was für Sommer für die Kinder!«
»Ihr werdet euch noch wundern!« sagte Paps düster.
Hals über Kopf zogen sie um. Sie hatten nicht viel mitzunehmen. Freunde halfen, Evakuierte wie Einheimische. Bettwäsche fand sich ein, Kinderkleidung, zwei Kinderbettgestelle, eine richtige große Matratze und eine Daunendecke für Janna-Berta, die sich auf dem Dachboden einrichtete. Kehrichtschaufeln voll Staub und Mäusedreck kippte sie aus der Dachluke. Zum ersten Mal trällerte sie wieder.
Zwei Schlafzimmer, Wohndiele, Küche, Bad. Noch immer klein für sechs Personen, wenn man die Maßstäbe anlegte, die vor dem Unglück gegolten hatten. Aber Almut wischte solche Gedanken weg: Die Zeiten hatten sich geändert, man mußte sich arrangieren, das Beste daraus machen, und nun waren sie erst mal glücklich. Sie konnten es kaum erwarten, die beiden Kinder zu holen. Und die Großmutter, die sie vorerst noch versorgte, drängte.
»Die Arbeit wächst ihr über den Kopf«, berichtete Almut, als sie von einem Besuch der Kinder zurückkehrte, zwei Tage, bevor sie sie abholen wollte. »Trotzdem hab ich ein ungutes Gefühl. Die Frau hängt an den Kleinen. Sie bricht in Tränen aus, wenn sie mich nur sieht. Wenn ich daran denke, daß sie übermorgen mutterseelenallein in ihrem Zimmerchen sitzt –«
»Hör zu«, sagte Reinhard, »ich ahne, worauf du hinauswillst. Aber
Weitere Kostenlose Bücher