Die Wolke
ist dir klar, daß wir uns damit wieder dem Sardinenleben nähern würden, dem wir gerade entkommen sind?«
»Ich hab ja nur überlegt«, seufzte Almut. »Aber wenn ich mir vorstelle, ich würde in ihrer Haut stecken –«
»Wir können sie mit den Kindern besuchen«, meinte Reinhard, »und sie kann zu uns kommen. So oft sie will.«
»Sie könnte mit den Mädchen im Kinderzimmer schlafen«, sagte Janna-Berta.
Weder Almut noch Reinhard antworteten. Sie rührten nicht mehr an das Thema, bis sie am übernächsten Tag aufbrachen, um die Kinder abzuholen. Paps und Janna-Berta warteten ihre Ankunft daheim ab. Janna-Berta putzte noch schnell die Fenster des Kinderzimmers, Paps kochte süßen Reis mit Rosinen. Er verschüttete das Milchpulver, und es gab noch im letzten Augenblick zu kehren und zu putzen.
»Wie leicht jetzt Waisenkinder zu haben sind«, sagte Paps kopfschüttelnd. »Früher mußte man sich Jahre vorher beim Jugendamt anmelden, und dann war es immer noch nicht sicher, ob man für fähig befunden wurde, ein Kind großzuziehen.«
Aber Janna-Berta hörte ihm nicht richtig zu. Sie dachte an die Großmutter der Kinder.
Dann wurde es draußen laut. Sie kamen. Janna-Berta stürzte hinaus. Sie kamen zu fünft.
»Willkommen!« rief Paps.
»Nur für die ersten Tage«, sagte die alte Dame verlegen. »Damit sich die Kinder besser eingewöhnen.«
»Dann werden wir weitersehn«, meinte Reinhard. »Vielleicht gefällt's Ihnen ja bei uns.«
Janna-Berta hatte sie sich klein und zierlich vorgestellt, aber sie war so groß wie Paps und ein bißchen mollig. Ihr Haar war fast weiß. Sie trug eine dicke Kurzsichtigenbrille. Ihr Gesicht wirkte alt und müde, und sie ging etwas vorgebeugt. Man glaubte ihr sofort, daß sie's mit den Kindern nicht mehr schaffte. Sie zog mit ins Kinderzimmer, und Janna-Berta borgte ihr ihre Matratze, bis Almut eine andere aufgetrieben hatte.
»Sie hat genauso wunderschöne braune Augen wie ihre Tochter«, sagte Almut zu Janna-Berta, als sie dann allein waren.
Während der nächsten Tage blieb die Frage, ob die alte Dame nur für den Übergang oder für immer bleiben wollte, vorerst offen. Niemand rührte daran, und sie selbst sprach auch nicht davon. Aber die ganze Familie nannte sie »Großmutter«, so, wie sie von den Kindern gerufen wurde.
»Meine Tochter wollte keine ›Oma‹ aus mir machen«, erklärte sie.
Almut blieb erst einmal zu Hause und kümmerte sich um die Kinder. Es war nicht einfach mit ihnen. Irmela, die Ältere, weinte viel und hing den ganzen Tag an ihrer Großmutter. Sie war allergisch gegen dies und das und brauchte strikte Diät, und wenn sie nachts unruhig wurde und Almut zu ihr hineinging, fing sie an zu schreien. Die Kleinere dagegen, ein rundes, kräftiges Ding, brauchte ständige Aufsicht, weil sie alles, was sie erreichen konnte, aus den Regalen räumte und wie am Spieß brüllte, wenn sie ihren Willen nicht bekam.
Als Reinhard und Janna-Berta an einem der nächsten Tage aus der Stadt heimkamen, fanden sie Almut in Tränen aufgelöst bäuchlings auf der Couch liegen, während Paps die Kleine in Schach hielt und die Großmutter Irmela auf dem Schoß wiegte.
»Ich schaff's nicht«, schluchzte Almut. »Ich schaff's ganz einfach nicht.«
Auch der Großmutter liefen die Tränen über die Wangen.
»Was schaffst du nicht?« fragte Reinhard und legte seinen Arm um sie.
»Diese Kinder!« rief Almut. »In meinem Leben hab ich nicht so schwierige Kinder gesehen. Ich werd mit ihnen nicht fertig. Verstehst du, ich werd mit ihnen nicht fertig! Sie wollen nicht essen, nicht schlafen, nicht mal spielen wollen sie.«
»Wenn unser Kind dein Temperament geerbt hätte«, unterbrach sie Reinhard, »wär's wahrscheinlich auch schwierig geworden.«
»Aber es wäre –«
»Was?«
»Nichts. Du hast ja recht.«
Sie erhob sich von der Couch und suchte nach einem Taschentuch. Reinhard gab ihr seines. Sie schneuzte sich und sagte: »Du machst ihnen das Abendessen, ja?«
Als die Kinder schliefen, setzten sich Almut, Reinhard und Janna-Berta auf die Stufen vor dem Haus und schauten auf die Dächer von Frauenstein hinunter. Es roch nach Heu und Kräutern, und der Duft der Rosen wehte von der Rabatte herüber. Almut lehnte sich gedankenverloren an Reinhard. Wie klein sie war gegen ihn. Er war wie ein Findling, wie ein mächtiger Stein, und Janna-Berta wunderte sich, daß ihn Almuts Schatten fast ganz verdunkelte. Nur sein Schnauzbart und seine buschigen Brauen schimmerten
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