Die Wolkenkinder
frischer, doch prächtiger Morgen begann mit herrlichen Licht- und Schattenspielen auf den näher liegenden Felswänden und in der Ferne konnte man eine mächtige Kette schneebedeckter Gipfel stolz im Morgendunst leuchten sehen. Man hatte schnell das Feuer wieder zu vollem Leben erweckt und gönnte sich gerade ein paar der Hammelteile vom Vorabend von denen noch reichlich vorhanden war, als Jasper ziemlich verkatert, aber schon wieder mit einem steinernen Weinkrug bewaffnet, erschien: „Moin, Männer! Gut geschlafen?“
„Wie schon lange nicht mehr!“ antwortete Dietbert ehrlich und restlos zufrieden.
„Das macht die gute Bergluft!“ glaubte Jasper zu wissen und setzte erst mal seine Buddel Wein an seine nass glänzenden, dicken Lippen an.
„Außerdem“, ergänzte Randolf, „war ich nach der gestrigen Tortour völlig fertig, dazu auch noch euer schwerer Roter aus Tirol – Mann, ich bin ins Bett gefallen wie eine gefällte Eiche!“
„Bei mir kam noch etwas Anderes hinzu“, meldete sich Lothar, irgendwie geistig abwesend, mit starrem Blick im Feuer.
Jasper drehte sich zu Randolf und machte diesem mit drehendem Zeigefinger vor seiner Stirn klar, dass er vermutete, dass der Kleine wieder einen Anfall zu haben schien.
Randolf zog mit zweifelnden Gesichtszügen die Schultern hoch, als Lothar weitersprach: „Wisst ihr: Ich hatte heute Nacht seit langem wieder einmal das Gefühl, dass ich in Sicherheit bin! Weit und breit keiner, der mich hätte bedrohen können! Wie zu Kindheitstagen in unserem Schlossgarten!“
Jetzt war Jasper sich sicher, dass der bedauernswerte junge Kerl wieder einen Anfall hatte; Randolf aber wusste es besser und stimmte ihm innerlich zu. Zur Linderung seiner Qualen bot Jasper dem, seiner Meinung nach verwirrten Jungen, seinen Rotweinkrug an, den dieser allerdings dankend ablehnte.
Irgendwann war auch der letzte Salzmann auf dem kleinen Platz inmitten ihrer strohgedeckten Hütten erschienen, um sich schlaff neben die Anderen fallen und Braten und Bier reichen zu lassen.
„Männer! Es wird Zeit!“ richtete Jasper sich auf. „Wollen unseren Neuen doch mal zeigen, was uns hier ein solch vorzügliches Leben sichert!“
An den nahegelegenen Kuhlen angekommen staunten die Jungs nicht schlecht über eine hochbeinig daherkommende Wasserleitung, die, wie man ihnen erklärte, Wasser vom Gebirgsbach in die Kuhlen leitete.
„Das Wasser wird sorgsam eingesetzt“, erklärte Jasper. „Wir lösen damit das Salz und seien es durch grobe Tücher, anschließend wiederholen wir den Prozess nur mit feinen Tüchern und halten damit das reine Salz zurück. Anschließend wird es mit großen Holzlöffeln geschöpft und in ausgehöhlte Baumstämme gepresst und tagelang in der Sonne getrocknet. So erhalten wir unsere berühmten Salzkegel, die in alle Welt verkauft werden!“
„Is’ ja doll!” war Dietbert grenzenlos begeistert und bekam seine Klappe vor lauter Staunen überhaupt nicht mehr zu: „Und wie lange hält das Salzvorkommen noch?“
„Kein Ende absehbar! Der Bauer wird stinkend reich!“
„Und damit auch irgendwann einmal Emmerich!“ ergänzte Randolf mit bedeutungsschwerem Lidaufschlag in Richtung seiner Kameraden.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug: Die Arbeit konnte bequem geschafft werden und man fand sogar noch Zeit, der Jagd mit anschließendem Gelage zu frönen. Hie und da erschienen Wanderer oder auch Hausierer, mit denen man ausgezeichnet ins Geschäft kam, so tauschte sich jeder wonach ihm der Kopf stand: fränkischen Wein, einen Kamm aus Elfenbein, festes Schuhwerk, feine Lebensmittel wie Zitronen oder Gelee, ein Jagdmesser mit geschnitztem Griff, Knöpfe aus poliertem Wurzelholz, Anhänger mit Reliquienteilen, Duftwässer und sogar einige ganz brauchbare Hieb- und Stichwaffen.
Alles schien nur noch eitel Sonnenschein: Das hier war ein Leben, wie es schöner kaum sein konnte, während in ganz Europa die Menschheit den Wirren des immer erbarmungsloser werdenden Krieges ausgesetzt war – unglaublich!
Doch wie es im Allgemeinen so ist, geht alles nur eine ganz bestimmte Zeit lang gut und so standen die Salzmänner eines Tages ebenfalls vor einem erheblichen Problem.
Kleinigkeiten, wie verdorbene Mägen oder Schnittwunden geringeren Ausmaßes, behandelte man selbst! Doch nun war es schlimmer gekommen! Drei der Männer lagen im Fieber und krümmten sich vor Bauchschmerzen,
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