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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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Martí damit herausgerückt, als er nachschauen kommt, wie es mit dem Kätzchen läuft. Dolors öffnet die Augen und stellt fest, dass wieder nur Zahlen und Buchstaben auf dem Bildschirm flimmern.
    »Warum hast du mir nicht Bescheid gesagt, Oma? Ich weiß ja, dass du nicht sprechen kannst, aber du hättest doch auf den Tisch klopfen können, wie sonst, wenn du Hilfe brauchst   … Komm, gib mir mal die Maus   … Hier, da hast du deine Katze wieder. Möchtest du noch weiterspielen, oder willst du dich lieber wieder in deinen Sessel setzen?«
    Mit Gebärden bedeutet ihm Dolors, dass sie gern noch eine Weile vorm Computer bleiben möchte. Sie wundert sich schon darüber, wie sehr sich alles verändert hat, wie diese neue Informatikwelt Mensch und Tier im Griff hat, zumindest die Katzen   …
    Damals gab es noch keine Computer. Und doch hat sie damals das Beste erfahren, was ihr im Leben passiert ist. Jener innige erste Kuss eröffnete ihr eine neue Welt, eine Welt voller neuer Gefühle, die sie mit solcher Leidenschaft auskostete, wie sie das nie für möglich gehalten hätte.

Die Taille
    Für die Taille Maschen abzunehmen ist immer heikel, denn wenn man sich nicht genau an die Maße hält, ist alle Mühe umsonst gewesen. Einfacher wäre es, ihn gerade hochzustricken, doch ein bisschen Taille ist ihrer Strickzeitschrift zufolge gerade sehr modern, und für Sechzehnjährige ist so etwas wichtig. Bei der Wespentaille der Kleinen kann sie jedenfalls bald damit anfangen. Aber kann das wirklich stimmen?
    Dolors streicht über das flauschige Vorderteil und misst mit dem Maßband noch mal nach, beim Zählen der Maschen muss ihr ein Fehler unterlaufen sein, das sind doch nie im Leben die Maße einer Sechzehnjährigen, so schmal gebaut sie von Natur aus auch sein mochte. Das ist doch unmöglich! Sie zieht den Zettel aus der Tüte, auf dem Leonor Sandras genaue Maße notiert hat, und studiert ihn noch einmal genau. Doch, ja, genau so steht es da   … Dolors schüttelt unwillig den Kopf. Bevor sie weiterstrickt, muss sie auf jeden Fall mit Leonor darüber sprechen, ob sie sich beim Messen nicht doch vertan hat, denn Sandra ist ja schon mager, aber gleich so? In Dolors’ Jugend waren nur die Kinder der Armen so klapperdürr, die, die nichts zu beißen hatten. Wenn die Maße stimmen, dann ist Sandrajedenfalls eindeutig unterernährt oder, wie man heute dazu sagt, magersüchtig. Aber egal, ob unterernährt oder magersüchtig: Im Grunde genommen läuft’s auf das Gleiche hinaus. Der einzige Unterschied ist, dass die einen nichts zu essen haben, während die anderen nichts essen wollen. Die kriegsversehrten Unglücksgestalten, die einen in der Nachkriegszeit voller Verzweiflung um einen Kanten Brot anbettelten, hätten es garantiert für ein Märchen gehalten, wenn einer ihnen erzählt hätte, dass nur ein halbes Jahrhundert später junge Mädchen und Frauen, deren Familien genug Geld hatten, um jeden Tag richtig schlemmen zu können, mit vor der Brust verschränkten Armen verkündeten: »Ich esse keine Suppe! Nein! Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!«
    Ja, früher   … früher, da war alles anders, ganz anders. Als die Zeit des Kastaniensammelns zu Ende ging, musste sie sich eine andere Ausrede einfallen lassen, etwa dass sie, der schneidenden Kälte zum Trotz, Gefallen an Spaziergängen an der frischen Luft gefunden habe. Antoni und sie sahen sich einmal pro Woche. Wenn sie irgendwie ein heimliches Treffen einrichten konnte, klemmte sie ein Taschentuch in den Rahmen eines Fensters, das von seinem Häuschen aus zu sehen war. Ein weißes Taschentuch bedeutete heute, ein blaues morgen, und war es rot, so hieß das, hab Geduld, ich komm zu dir, sobald ich kann.
    Dolors lebte damals in einer Art grenzenlosem Liebesrausch, der alle Unterweisungen der Nonnen im Internat ad absurdum führte. Am ersten Tag war es nur ein Kuss gewesen, dieser Kuss, der am Anfang von allem stand, was nie, nie enden durfte. Mit hochrotem Kopf und bis zum Hals klopfendem Herzen war Dolors danach aus dem bescheidenenHäuschen gelaufen, ohne Antoni auch nur Auf Wiedersehen gesagt zu haben, da sie weder wusste, ob, noch, wie sie ihm das sagen sollte.
    Am zweiten Tag kam der erste Kuss, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war, ohne ein Wort, ohne Vorankündigung, einfach so. Antoni hatte sie nur merkwürdig angesehen und sie dann auf der Stelle an die Hintertür gelehnt, von oben bis unten mit Küssen bedeckt, bis sie nicht mehr wusste, wie ihr

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