Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
beweise dir selbst und allen anderen, dass du Format hast.
Aber all das kann sie ihr nicht stecken, sie kann nur schweigend zuhören.
»Es geht schon eine ganze Weile … Wenn er mich nur in sein Büro ruft, fange ich schon an zu zittern. Er gibtseiner Sekretärin Bescheid, dass uns niemand stören darf, und dann verschafft er sich auf dem Sofa Erleichterung. Es ist so ekelhaft, Mama … Ich schaue hoch an die Decke, versuche, an etwas anderes zu denken, und hoffe, dass es bald vorbei ist. Ich weiß wirklich nicht, was er an mir findet …« Leonor hält kurz inne, um sich die Nase zu putzen, und fährt dann etwas ruhiger fort: »Heute hat er sich zum ersten Mal nicht an mich rangemacht. Er hat mich in sein Büro gerufen und mir mit einem breiten Grinsen verkündet, dass er meinen Abteilungsleiter entlassen habe und ich fortan dessen Posten übernehmen soll. Ich habe mich natürlich höflich bedankt, ihm dann aber gleich gesagt, dass ich keine Führungsposition haben will. Er hat das allerdings nicht gelten lassen. Deshalb habe ich noch einmal deutlicher Nein gesagt – und da hörte er zu grinsen auf und meinte, er dulde keinen Widerspruch, das sei ein Befehl. Wortlos habe ich mich umgedreht und bin gegangen, und da hat er mir noch nachgerufen: So können wir zusammen auf Geschäftsreise gehen, Schatz, du wirst schon sehen, wir werden eine Menge Spaß haben.«
Während Leonor schniefend ein weiteres Papiertaschentuch aus der Box zieht, schüttelt Dolors ungläubig den Kopf. Was soll sie nur tun? Sie verspürt wieder das Bedürfnis, ihre Tochter ins Gebet zu nehmen, und überlegt kurz, ob sie es auf einen Zettel aufschreiben soll, trotz der Schwierigkeiten, die ihr ihre zittrige rechte Hand bereitet. Doch dann verwirft sie den Gedanken wieder, denn schriftlich kann sie es nicht so präzise ausdrücken, was sie ihr sagen will, und Leonor wird es nicht so verstehen, wie sie’s verstehen soll. Mit ihrer Jüngsten muss man Klartext reden, sie ist nicht wie Teresa, die auch das versteht, was zwischenden Zeilen steht oder einem vom Gesicht ablesen kann, wie’s einem geht. Leonor nimmt alles wortwörtlich, nein, schriftlich kann sie ihr wirklich nichts erklären. Wie sollte sie ihr klarmachen, dass alles, was ihr zustößt, im Grunde ihre eigene Schuld ist? Weil sie, statt in ihrer Jugend ihren Willen zu stählen, unter die Fittiche eines Mannes geschlüpft ist, der das Bedürfnis hat, sie niederzuhalten, um sich daneben selbst groß zu fühlen, um sich als Mann bestätigt zu fühlen oder als Platzhirsch, denn so verhält sich doch eher ein Tier, auch wenn er allen vormacht, er sei der ideale Ehemann und Vater, kultiviert, intelligent und ein großer Anhänger von Nietzsche. Wie sollte sie ihrer Tochter beibringen, dass sie mit Sicherheit einen anderen Weg gefunden hätte, auf die Annäherungen ihres Chefs zu reagieren, wäre die Lage zu Hause eine andere? Bestimmt hätte sie ihrem Vorgesetzten dann einen deftigen Medienskandal bereitet, einen dieser Skandale, zu denen Martí immer so genüsslich seine Kommentare abgibt. Der Jungeliest ja sämtliche Zeitungen und macht sich einen Spaß daraus, seinem Vater zu widersprechen und ihn einen recycelten Hippie zu nennen, im Scherz natürlich, doch Jofre kann das überhaupt nicht vertragen, o nein, für ihn ist die heutige Jugend nicht so vom Streben nach Wahrheit erfüllt wie er und all die Leute seiner Generation.
Doch egal, ob nach Wahrheit strebend oder nicht, sind alle Generationen doch bei den gleichen Zärtlichkeiten und Liebesschwüren erbebt. Und alle haben in dem einen oder anderen Moment auch an die große, einzig wahre Liebe geglaubt. Als Eduard Dolors den Hof zu machen begann, da war es schon eine ganze Weile her, dass Antoni ihr zum ersten Mal den Himmel auf Erden versprochen hatte.Der Himmel auf Erden bedeutete in seinem Fall natürlich die ewige Liebe und sonst nichts, denn mehr konnte Antoni ihr nicht bieten.
Nach jenem ersten Mal hatte es eine Weile gedauert, bis sie wieder zu ihm gegangen war, denn in ihrem Innersten hatten die widersprüchlichsten Gefühle getobt. Der berüchtigte unförmige Wurm, vor dem die Nonnen sie gewarnt hatten, hatte ihr eher Angst eingejagt, als dass er ihr gefallen hätte, er hatte sich als furchtbar dralles, hartes Ding erwiesen, das kampfeslustig in sie eindrang und sie durchbohrte, und ihr zudem ziemlich wehtat, sodass es auf einen Schlag mit der ganzen Romantik vorbei war. Schön dumm waren wir damals vor dem
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