Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
schwer zu finden – Antoni natürlich ausgenommen.
»Worüber freust du dich, Oma?«
Kaum hat Martí sie das gefragt, hebt Sandra den Kopf, sodass Dolors nun lächelnd mit ihren runzligen Händenauf sie beide deutet. Das entlockt auch endlich Sandra ein Lächeln, und sie küsst ihren Bruder auf die Wange.
»Ach, Martí, wenn die anderen Jungs doch nur so wären wie du. Hat die ein Glück, die dich mal abkriegt!«
Nun ist der Blick, den Großmutter und Enkel wechseln, noch vielsagender als der zuvor, weshalb sich Dolors schnell am allergischen Auge kratzt. Es juckt sie zwar schon seit Tagen nicht mehr, aber in dieser für Martí und sie so unangenehmen Lage fällt ihr nichts anderes ein, um den Blick abzuwenden, da sie sich vor Sandra ja nicht über ihre Strickarbeit beugen kann.
Auch Mireias Blicke waren ihr höchst unangenehm gewesen. Zwar konnte sie Antoni aus ihrem Leben verstoßen, nicht aber aus ihrem Kopf und Herzen. Eduards Familie hatte beschlossen, daran zu glauben, dass sich die künftige Schwiegertochter heimlich mit Eduard getroffen hatte, denn unter den gegebenen Umständen war dies für alle das Beste. Zudem machte es in der Öffentlichkeit einen guten Eindruck, dass der Sohn der Fabrikbesitzer und die Tochter des Direktors ihre Sünden bereuten und ihr Seelenheil in einer Ehe
comme il faut
suchten, wie die Schwiegermutter meinte, die stets mit französischen Floskeln zu glänzen versuchte. Doch die Wunde in Dolors’ Herzen brauchte lange, um zu heilen. Sehr lange. Jahre. Sie dachte ständig an Antoni, und unmittelbar nach Teresas Geburt war sie kurz davor, das Kind zu packen und mit ihm seinen leiblichen Vater suchen zu gehen. Schließlich ließ sie es sein, denn sie fühlte sich sehr schwach und sorgte sich natürlich um die Zukunft des Neugeborenen. Wir Frauen besitzen einfach einen übermäßigen Mutterinstinkt, denkt Dolors nun mit einem Seufzer, würden wir mehr wie normale Menschenund weniger wie Mütter handeln, sähe alles anders aus; zwar würden wir vielleicht mehr Dummheiten machen, doch wären wir sicher auch um einiges glücklicher.
Sieh mich nicht so anklagend an, Mireia, hatte sie eines Tages zu ihrem Dienstmädchen gesagt, als sie ihre Blicke nicht mehr länger ertragen konnte, dass ich Eduard nehme, hat seinen guten Grund: Ich bin schwanger. Mireia machte große Augen, doch Dolors fuhr schon fort, froh, wenigstens ihr die Wahrheit sagen zu können: Ja, es ist von Antoni. Aber Eduard hat sich erboten, mich zu heiraten und so zu tun, als wäre er der Vater. Antoni haust in einer feuchten Baracke, Eduard hingegen wohnt in einem großen herrschaftlichen Haus, mir ist das egal, doch für die Zukunft meines Kindes ist das nicht einerlei. Mireia schwieg noch immer, als Dolors jedoch aufschaute und sie ängstlich ansah, bemerkte sie, dass Mireias Augen nun einen ganz milden Ausdruck hatten und sie leise weinte. Verzeihen Sie, Senyoreta Dolors, bitte, verzeihen Sie mir, murmelte das Dienstmädchen. Da reichte Dolors ihr ein Taschentuch und beschwor sie: Tu mir den Gefallen und lass uns nicht mehr darüber reden. Und was tat Mireia? Sie nickte, riss ihr das Taschentuch aus den Händen und putzte sich damit laut und ausgiebig die Nase. Ja, so war sie, feinfühlig und diskret, in bestimmten Dingen aber einfach derb. Bauer oder Edelmann bist du von der Wiege an, dachte Dolors damals, seine Herkunft kann man wohl nicht verleugnen.
Heutzutage scheinen allerdings alle von Bauern abzustammen, denn neuerdings legt keiner mehr Wert auf gute Manieren. Wo soll das nur hinführen?, hatte sie Teresa gefragt, wenn sie sich wieder einmal über Fuensanta beklagte. Teresa hatte darauf nur gelacht, also ehrlich, Mama,so schlimm ist es auch wieder nicht, Fuensanta ist doch nicht ungehobelt. Nein, natürlich nicht, hatte Dolors erwidert, aber sie ist auch nicht so wie wir. Das war ihr so herausgerutscht, gütiger Himmel, wie hatte sie so etwas nur sagen können, anscheinend wird man von seiner Erziehung doch stärker geprägt, als man glaubt, wie konnte sie nach all dem, was mit Antoni gewesen war, so etwas auch nur denken! Also wirklich, Mama, was ist denn das für ein Standesdünkel?!, brauste Teresa folglich auch gleich auf. So habe ich das doch nicht gemeint, ich wollte sagen, dass … Ja, ja, du hast ja recht, hatte sie sich schließlich aus der Affäre gezogen und insgeheim gedacht, dass sie im Grunde an Fuensanta nur eines störte: dass ihre Töchter sie eingestellt hatten, um auf sie aufzupassen
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