Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
hinauskomplimentieren, als ihr auf einmal wieder das Kind in den Sinn kam und die Feuchtigkeit in Antonis Baracke. Nachdenklich öffnete sie noch einmal das Schächtelchen, schaute den Brillantenan – und da war es um sie geschehen: Der funkelnde Solitär siegte über die widrigen Lebensumstände und alle aus der Armut und dem Elend resultierenden Krankheiten, die ihr Kind erleiden müsste, wenn sie Eduard einen Korb gab. Sie hob den Kopf. Und wenn es ein Mädchen wird, was dann? Daran hatte Eduard nicht gedacht, man sah ihm an, dass er fest davon überzeugt war, einen Stammhalter zu bekommen. Völlig verwirrt schwieg er einen Moment und sagte schließlich: Wenn es ein Mädchen wird, dann ist sie sicher genauso klug wie du.
Oma, sag, kommt es … kommt es dir nicht auch so vor, dass Papa ein ziemlicher Chauvi ist und Mama nach seiner Pfeife tanzen lässt? Nach Jofres höhnischer Reaktion auf die Beförderung seiner Frau war Martí in der vergangenen Woche noch abends in ihr Zimmer gekommen und hatte sich an ihr Bett gesetzt. Dolors hatte natürlich eifrig genickt, ihr Enkel war wirklich klug. Ich wusste, dass du genauso denkst, sagte Martí erleichtert und fuhr dann etwas mutiger fort, und denkst du nicht auch, dass der Posten der Abteilungsleiterin ihr kümmerliches Selbstbewusstsein stärkt? Dolors nickte wieder, diesmal jedoch eher zögerlich, denn sie war sich alles andere als sicher, ob dem wirklich so war. Doch Martí wusste nichts von den Nachstellungen des Chefs und Leonors Drangsal, und so war er natürlich enttäuscht. Ich sehe, du bist nicht davon überzeugt, dass meine Mutter den Anforderungen gewachsen ist, sagte er seufzend und stand auf, na ja, wir werden sehen … ich hoffe, du irrst dich, gute Nacht, Oma. Das hoffe ich auch, hatte Dolors da nur gedacht, als ihr Enkel schon leise die Tür schloss.
Das alles ist schon recht surreal. Sur-re-a-lis-mus, Richtungvornehmlich in der Literatur und modernen Kunst, die das Unbewusste, Träume, Visionen und Ähnliches als Ausgangsbasis künstlerischen Schaffens sieht. Und noch einmal: Sur-re-a-lis-mus, Richtung vornehmlich in der Literatur und modernen Kunst, die … Ein ums andere Mal hatte sie es vor sich hingesagt, unaufhörlich, und war dabei in der Wohnung auf und ab gegangen, denn so prägte sie sich die Dinge am besten ein. Sei endlich still, du Nervensäge!, hatte Eduard gewettert, doch Dolors hatte nur ungerührt erwidert: Kommt nicht infrage, ich höre mich gern wieder und wieder dasselbe sagen. Und dank der vielen Wiederholungen kann sie es bis heute aus dem Gedächtnis wiedergeben. Dolors muss nun lachen, das Leben weniger theoretisch und dafür ein bisschen surrealer zu begreifen hätte ihr damals sicher gutgetan, so wie jetzt, wenn sie Leonor fröhlich ihren Koffer packen sieht. Ihre Tochter summt vor sich hin, also ehrlich, letzte Woche hat sie noch Rotz und Wasser geheult, und jetzt freut sie sich sogar auf die Geschäftsreise mit diesem Widerling von Chef. Da soll sich noch einer auskennen.
Ah, aber da kommt eine, bei der es genau andersrum ist: Bis gestern noch überglücklich, hat sie nun verweinte, rote Augen: Sandra. Doch bevor sie ihr noch einen mitleidvollen Blick zuwerfen kann, wandern Dolors’ Augen unwillkürlich hinab zu Sandras Top, zu dem Stück unterhalb der Armausschnitte, ja, ja, jede Masche eine Reihe, und das acht Mal, das müsste passen. Dolors muss lächeln, dass das jetzt Vorrang gehabt hat, daran ist wohl ihre unbändige Stricklust schuld …
»Ah, hallo Sandra, ich habe gar nicht gehört, dass du nach Hause gekommen bist.« Mit einem eleganten Kleidüber dem Arm ist Leonor aus ihrem Schlafzimmer gekommen. »Aber … aber was ist denn los …?«
Da bricht Sandra wieder in Tränen aus und wirft sich ihrer Mutter an den Hals. »Nichts, gar nichts …«
»Wenn nichts los wäre, würdest du nicht so heulen, Sandreta«, sagt Martí liebevoll, der besorgt den Kopf aus dem Arbeitszimmer herausgestreckt hat. »Bist du in deiner Prüfung durchgerasselt? Ist es das?«
Leonor streichelt ihrer Tochter über den Kopf, die schüttelt jedoch nur heulend den Kopf. Dann ist es also der Freund, folgert Dolors sofort, sie haben Schluss gemacht: Armes Kind, das ist die erste bittere Lektion in deinem Leben, nicht wahr?
»Also, was ist dann los? Komm, Sandra, beruhige dich …«
Leonor macht sich von ihrer Tochter los, um für sie ein Taschentuch aus der Kleenex-Schachtel auf dem Couchtisch zu holen, wie sie
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