Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
das erst in der vergangenen Woche für sich selbst getan hat. Sandra putzt sich die Nase und holt Luft.
»Mein Freund, Mama … er hat mich sitzenlassen! Er … er geht jetzt mit einer anderen … Ich gefalle ihm nicht mehr, sagt er!«, schluchzt sie und beginnt wieder, herzzerreißend zu weinen.
So einfach hat er sich’s gemacht. Typisch Mann! Dolors schüttelt voller Mitleid für ihre Enkelin den Kopf. Leonor hingegen sieht ihre Tochter nun mit saurer Miene an.
»Du hattest einen Freund? Seit wann? Davon hast du mir überhaupt nichts erzählt, mein Fräulein!«
»Ich wollte ihn dir vorstellen, Mama«, sagt Sandra hastig und verschluckt sich dabei fast. »Nächste Woche wollte ich ihn zum Essen einladen.«
»Ach ja?«
Jetzt ist Leonor total vergrätzt, das hat gerade noch gefehlt.
»Wenn du mit mir darüber gesprochen hättest, hätte ich dir sicher raten können, wie man einen Mann glücklich und zufrieden macht. Wozu hab ich all die Erfahrung? Ich bin deine Mutter und seit dreißig Jahren mit deinem Vater zusammen! Haben wir dich nicht frei und ohne Tabus erzogen? Dass du deinen Freund vor uns verheimlichst, nicht zu fassen!«
Wütend lässt Leonor ihre schluchzende Tochter einfach stehen, packt das Kleid, das sie drei Minuten vorher achtlos aufs Sofa geworfen hat, und rauscht aus dem Raum wie eine beleidigte Königin. Also ehrlich, Kind, schimpft Dolors in Gedanken mit ihr, da hast du aber einen ganz schönen Schwachsinn verzapft. Und Sandra hast du noch dazu zutiefst verletzt. Mein Gott, du musst wirklich unheimlich dämlich sein, dass du deine sensible Tochter so zur Schnecke machst!
Arme Sandra, der Kleinen hat es die Sprache verschlagen, ihre Tränen sind durch den Schock nahezu versiegt. Ihr erster Impuls ist, der Mutter nachzulaufen, doch diese hat schon die Tür ihres Schlafzimmers hinter sich zugeschlagen, es ist offensichtlich, dass sie nicht gestört werden will. Da schaut Sandra zu ihrer Großmutter, denn sicher ist ihr gerade erst wieder eingefallen, dass diese in ihrem Sessel sitzt, weshalb Dolors das Einzige tut, was sie noch tun kann: Sie lächelt ihre Enkelin voller Mitgefühl an. Das löst ein wenig Sandras Anspannung, gerade genug, dass sie sich ihr anvertraut.
»Meinst du, dass ich’s ihr gleich am Anfang hätte erzählensollen, Oma? Mit so einer Reaktion habe ich echt nicht gerechnet … Es ist bestimmt meine Schuld, wie soll ich das bloß wieder in Ordnung bringen? Ich will nicht, dass meine Mutter sauer auf mich ist. Ich fühle mich richtig mies, aber … ich weiß nicht, ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen, ihr …«
Natürlich nicht, denkt Dolors. Es gibt Dinge, die man mit sich selbst ausmacht, und Dinge, die man mit seinen Freunden bespricht, aber doch nicht mit den Eltern! Denn Eltern sind nun mal keine Freunde, auch wenn viele Elternpaare glauben, sie müssten die Freunde ihrer Kinder sein, Freunde haben die aber schon genug, und zudem wollen sie sich die ganz allein aussuchen. Was sie brauchen, das sind richtige Eltern, Menschen, die ihnen ein leuchtendes Vorbild sind und sie unterstützen und so akzeptieren, wie sie sind. Leonor hingegen will nur ein Abbild ihrer selbst heranziehen. Hat sie das etwa auch getan?, fragt sich Dolors nun und erforscht ihr Gewissen, aber nein, nein, so hat sie sich ihren Töchtern gegenüber nie verhalten, Leonor ist so geworden, wie sie ist, weil es so Gottes Wille war, Punktum! Ach, was bist du doch kompliziert, mein Kind.
Glücklicherweise hat Martí eine andere Einstellung zu dem Ganzen. Dolors’ Enkel ist einfach ein Juwel. Eben ist er aus dem Arbeitszimmer gekommen und zieht Sandra jetzt aufs Sofa, wo er ihr einen Arm um die Schultern legt.
»Ach, Sandreta, du findest bestimmt bald einen anderen, mach dir da mal keine Sorgen. Der Kerl weiß doch gar nicht, was ihm entgeht. Der hat gar nicht gesehen, was in dir steckt, du bist so viel mehr wert als er, der verdient dich doch überhaupt nicht! Stimmt’s, Oma?«
Dolors nickt eifrig, und Sandra lächelt ihren großen Bruderdankbar und voller Bewunderung an. Martí ist so energisch und wirkt immer so selbstsicher … Ach, es ist immer das Gleiche: In so einen wie Martí müsste sich Sandra verlieben, er liebt sie aufrichtig und achtet sie. Doch der Mann, der sie am Ende um den Verstand bringen wird, wird sie nie so lieben, da macht sich Dolors nichts vor; zwar wird er so tun als ob, und es vielleicht sogar selbst glauben, doch in Wirklichkeit wird er sie
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