Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
ganz zufrieden war. Wunderbar, antwortete er, Sandras Pullover wird übrigens sehr schön.
Das war, noch bevor sie sich mit dem Stricken zum zweiten Mal vertan hat. Drunter und drüber ging es erst danach, als Sandra nach Hause kam und verkündete, ihre neue Freundin würde zum Mittagessen kommen. Aber halt, war das nun am Freitag oder am Samstag? … Ach, was für ein Wirrwarr … Jetzt weiß sie’s, es muss wohl am Samstag gewesen sein, denn Jofre war zu Hause, aber egal. Dieses Mädchen hatte es anscheinend auch auf Sandra abgesehen, denn die beiden steckten jetzt, da Sandra keinen Freund mehr hatte, den ganzen Tag zusammen, sodass Dolors schon dachte, in ihrer Familie hätten alle recht merkwürdigeNeigungen, aber so war es dann doch nicht, Sandra und ihre Freundin, deren Name Dolors früher nie einfiel, waren nur Freundinnen, mehr nicht.
Ausgerechnet heute, wenn ich nicht da bin, sagte Leonor verstimmt, wer soll euch denn etwas zum Essen machen? Keine Sorge, Leonor, das mach ich schon, platzte da Jofre heraus. Da bekam Dolors vor Überraschung fast den Mund nicht mehr zu. In letzter Zeit musste Leonor ständig arbeiten, zumindest behauptete sie das, doch dass Jofre so zuvorkommend war, das war vollkommen neu, war ihr Schwiegersohn vielleicht krank? Denn er konnte sich ja wohl unmöglich von heute auf morgen so verändert haben und plötzlich merken, dass seine Frau in den dreißig Jahren ihrer Ehe nur unter seiner Fuchtel gestanden hatte, und dies nun reumütig wieder in Ordnung bringen wollen. Nein, das konnte wirklich nicht sein, irgendetwas in Dolors weigerte sich, zu glauben, dass er vom Saulus zum Paulus geworden war. Und ich helfe dir, Papa, rief da Sandra, wir werden ein richtig tolles Mittagessen zaubern, ihr werdet alle staunen. Genau, das werdet ihr!, pflichtete Jofre ihr voller Elan bei, sodass Dolors beinahe laut aufgelacht hätte und Leonor, die so überrascht war, dass sie nur Danke murmeln konnte, schnell nach ihrer Tasche griff und ging, bestimmt dachte sie, besser, ich verschwinde, bevor er sich’s doch anders überlegt.
Vielleicht isst Sandra ja ihren Teller auf, wenn sie das Mittagessen selbst zubereitet, hatte Dolors erst noch hoffnungsfroh gedacht, doch es würde eh nicht viel nützen, denn wenn Sandra etwas isst, dann übergibt sie sich hinterher. Seit sie keinen Freund mehr hat, erbricht sie alles, was sie zu sich nimmt: Wenn ihre Mutter einen Teller Nudelnvor sie hinstellt, macht sie sich mit einem wahren Heißhunger gleich darüber her. Doch nach dem Mittagessen geht sie zur Toilette und steckt den Finger in den Hals. Sie hat Bauchschmerzen, dachte Dolors noch beim ersten Mal, aber dann hatte sie das doch ein wenig zu oft, genauer gesagt, immer an den Wochenenden, wenn sie zwangsläufig etwas essen muss. Und keiner achtet darauf, nur sie, ach Sandreta, wenn du so weitermachst, ist dir bald sogar mein selbstgestrickter Pullover zu weit, und danach betrachtet sich Sandra auch noch jedes Mal unerbittlich im Flurspiegel, vermutlich kontrolliert sie, ob nicht doch ein winziger Bissen Zeit genug gehabt hat, verdaut zu werden und sich in Fett umzuwandeln.
Gestern oder vorgestern … jedenfalls an dem Tag, als ihre Freundin zum Mittagessen kam, da aß sie auch erst mit großem Appetit und verschwand danach, um sich zu übergeben. Bei Tisch war es sehr unterhaltsam gewesen, und alle hatten viel gelacht, sogar Jofre, denn die beiden Mädchen gaben eine Anekdote nach der anderen zum Besten, sie sprachen von der Schule, ihren Lehrern, den Prüfungen und derlei Dingen, von denen Teenager nun mal gerne erzählen. Manchmal drehte sich Sandra zu ihr und rief laut: Hast du das mitbekommen, Oma?, worauf Dolors nickte und wieder einmal bei sich dachte, warum halten mich eigentlich alle für taub, ich habe ein außerordentlich gutes Gehör, Sandra, glaub mir, so gute Ohren wie ich hättest du nur zu gern. Nach dem Mittagessen war Dolors mit kleinen Schritten zurück zu ihrem Sessel geschlurft, Sandra war zur Toilette gegangen und nach vollbrachter Tat mit ihrem Vater und der Freundin ebenfalls ins Wohnzimmer gekommen, wo sich dann alle drei aufs Sofasetzten, um sich eine DVD anzusehen, die Jofre ausgesucht hatte, einen dieser Spielfilme über den Vietnamkrieg, der ist richtig gut, erklärte er, der ist gedreht worden, als ich noch jung war, wie kann man nur so viel Unglück und Leid gern ansehen. Sag mal, Schätzchen, würdest du für uns alle Eis kaufen gehen? Ihr habt doch bestimmt Lust
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