Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
diszipliniert, wie sie es zeitlebens war, wenn sie denn was erreichen wollte, gab sie irgendwann tatsächlich keinen Mucks mehr von sich, außer natürlich das Lachen, denn das würde sie sich nie versagen.
Sie sagt keinen einzigen Ton mehr, hatte Leonor erst kürzlich dem Arzt bei seinem Hausbesuch erzählt. Überrascht hatte Dolors sie angesehen, weil es ihr vollkommenneu war, dass sie sich deshalb Sorgen machte, und daher eine Art Winseln hören lassen, um ihnen allen zu beweisen, dass sie durchaus noch dazu fähig war. Und wie vorauszusehen war, machte Leonor große Augen und rief verblüfft: Das kann doch nicht wahr sein! Bis gerade eben war sie doch noch komplett stumm, ich schwör’s Ihnen! Da lächelte der Arzt – der sie vom Krankenhaus her kennt und weiß, wie klug sie ist, zumindest erheblich klüger als ihre Tochter – und sagte: Wissen Sie, Ihre Mutter ist sehr weise. Da sie sich nur mit Lauten nicht wirklich verständlich machen kann, lässt sie es sein, weil sie ihre Energie nicht vergeuden will, nicht wahr, Senyora Dolors? Worauf Dolors nickte und ein bisschen lachte, um zu zeigen, dass sie das auch noch konnte, vor allem aber, weil sie die Replik des Arztes amüsierte.
Der Arzt, der Eduard nach seinem allergischen Schock behandelt hatte, war nicht so zu Scherzen aufgelegt gewesen, ganz im Gegenteil. Es hatte sie und die Kinder unheimlich erschreckt, als sich auf seiner Haut plötzlich diese schrecklichen Blasen bildeten und es so aussah, als ob sich an seinem ganzen Körper die Haut ablöste. Dolors war wie gelähmt gewesen und hatte nur die beiden Mädchen an sich gedrückt, die vor Angst geheult hatten, vielleicht war ihr Vater ja ein Außerirdischer, und jetzt kam sein wahres Wesen zum Vorschein, bis Eduard schrie, nun tu doch etwas, ich sterbe, siehst du das nicht?! Erst da vermochte sie zu reagieren, er fieberte stark, sie musste etwas unternehmen, und zwar schnell, mit dem Notarztwagen wurde Eduard in die Klinik gebracht, wo der Arzt ihr dann erklärte, es handle sich bei den Blasen um eine allergische Reaktion auf Penizillin. Ich werde Ihnen auflisten, welcheMedikamente er auf keinen Fall mehr einnehmen darf. Sollte es noch einmal vorkommen, müssen Sie augenblicklich mit ihm ins Krankenhaus kommen, sonst … Natürlich hatte er es nicht ausgesprochen, Ärzte beenden ihre Sätze immer mit drei Auslassungspunkten, bloß, um nicht offen und ehrlich über den möglichen Tod des Patienten sprechen zu müssen, dabei begegnen sie ihm doch jeden Tag. Wollen Sie damit sagen, dass er sonst stirbt?, hatte Dolors ihn deshalb geradeheraus gefragt. Und der Arzt hatte bloß genickt. Anscheinend war für ihn bereits dieses Ja zu viel.
Eine Penizillinallergie. Eduard war zwar nicht gestorben, doch hatte es ihn zutiefst erschreckt, es war entsetzlich, Dolors, ich hatte Todesangst, das mit den Arzneien musst du für mich übernehmen, du weißt ja, ich stelle mich bei so was furchtbar dumm an. Natürlich mache ich das, sei unbesorgt, hatte Dolors ihn beruhigt, die sich sowieso immer wie eine Krankenschwester vorkam, wenn alle gleichzeitig krank wurden und sie einem nach dem anderen die Medikamente verabreichen musste. Kurioserweise tat Eduard danach beim Arzt jedoch immer so, als wüsste er genau, wann er was einzunehmen hätte, sogar, wenn Dolors ihn begleitete, was sie beim ersten Mal unheimlich wütend machte: Was sollte das denn eben? Ich bin es doch, die aufpasst, dass du nichts Falsches schluckst! Zerknirscht hatte Eduard darauf den Kopf gesenkt. Es macht einen so schlechten Eindruck, dass ich das nicht allein kann, entschuldige. Da hatte er Dolors sehr leidgetan, und zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass Männer nie erwachsen werden und den Frauen einfach nicht zu helfen ist.
Von Jofre und Mònica hatte sie ein paar erstickte Schreie gehört, sie mussten wirklich glauben, dass sie taub war, sicherhatte Jofre zu ihr gesagt, die Alte hört uns nicht, aber sei auf alle Fälle leise. Nach zehn Minuten war’s dann schon vorbei. So schnell? Wie traurig!, hatte Dolors gedacht, als die beiden über die Farbe der Wände plaudernd ins Wohnzimmer zurückgekehrt waren, so als hätten sie die ganze Zeit über nichts anderes gesprochen – nur hatte Jofre vergessen, den Reißverschluss seiner Hose zu schließen, und Mònicas Rockzipfel steckte noch hinten in den Strümpfen.
Sandra sah es jedoch nicht, als sie zurückkam, denn da saß ihre Freundin bereits wieder auf dem Sofa und dankte ihr
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