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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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Jofre aufgewacht war, als Leonor ebendiese Dose vom Regal herunterholte. Er hat ihn nicht bemerkt, Dolors allerdings schon, und das bringt ihr Gedankenkarussell nun wieder in Fahrt. An und für sich ist das ja nicht schlimm, sagt sie sich, wenn man sich ein Loch in den Bauchnabel machen lässt – ein Piercing, sagt Sandra dazu   –, aber ist Leonor mit ihren fünfzig Jahren dafür nicht schon ein bisschen zu alt? In dem Alter lassen sich doch nur noch bestimmte Leute ein Piercing stechen, und so ein Typ Frau ist Leonor ganz gewiss nicht. Teresa käme dafür schon eher in Betracht, doch auch die, eine erklärte Kommunistin und Vorkämpferin für die Rechte der Frau, macht so etwas schon lange nicht mehr, mit Ende fünfzig ist sie aus diesem Alter heraus. Und deshalb muss sich Dolors über den Ring in Leonors Bauchnabel doch sehr wundern. Theoretisch müsste ihn Jofre längst gesehen haben   … aber natürlich nur theoretisch, denn so, wie die Dinge liegen, bezweifelt Dolors, dass die beiden sich in letzter Zeit nackt gesehen haben. Was also mag ihrer Tochter zu diesem modischen Schnickschnack bewogen haben?
    »Es geht mir besser, Mama. Viel besser.«
    Nachdem Leonor die Dose wieder an ihren Platz gestellt hat, hat sie sich zu ihrer Mutter gesetzt. Dolors betrachtet sie neugierig, fasst sich aber in Geduld, sicher rückt sie gleich mit der Sprache raus, man merkt ihr an, dass sie es loswerden muss. Nachdenklich fährt Leonor mit der Zunge über ihre Oberlippe.
    »Weißt du, mein Chef hatte einen Zusammenbruch   …so eine Art Herzinfarkt, gleich nachdem er mich befördert hat. Solange er krankgeschrieben ist, vertritt ihn sein Sohn. Und wenn dieser Widerling wieder fit ist, werden sie die Geschäfte gemeinsam führen.« Wieder leckt sich Leonor unbewusst die Oberlippe und fährt dann fort: »Der Sohn vom Chef ist klug und noch ziemlich jung, nur ein paar Jahre älter als Martí   … Víctor ist fünfundzwanzig, hat gerade sein Studium beendet und   … nun, es lässt sich richtig gut mit ihm arbeiten. Und er sorgt sich auch sehr um das Wohl seiner Mitarbeiter   … Ich war mit ihm auf Geschäftsreise, und da lief alles hervorragend.«
    Mehr sagt Leonor nicht, sie springt auf und läuft ins Bad. Ist sie plötzlich rot geworden, oder bildet sich Dolors das nur ein? Dolors lächelt nachsichtig. Vermutlich hat sie sich verpflichtet gefühlt, ihrer Mutter zu erklären, warum sie neuerdings so fröhlich ist und ständig trällert, während sie die Betten macht, spült, sich für die Arbeit anzieht und sich schminkt. In letzter Zeit macht sie sich nämlich ganz besonders sorgfältig zurecht, mehr als früher   … Und da geht Dolors auf einmal ein Licht auf! Natürlich, jetzt weiß sie, was hinter dieser Lebensfreude steckt, dieser anscheinend so kluge Junge von fünfundzwanzig Jahren hat damit zu tun! O Gott, hoffentlich geht das gut. Aber was will ein so junger Kerl von einer Fünfzigjährigen? Möglicherweise hat er ja die Gene seines Vaters geerbt. Oder aber er wünscht sich, für was auch immer, eine erfahrene, reife Frau. Doch wie dem auch sei: Jedenfalls ist Leonor glücklich. So glücklich, dass sie erfreulicherweise anfängt, aus dem Schatten ihres selbstherrlichen Gatten zu treten, der ihr in jungen Jahren die Flügel beschnitten hat.
    Du bist doch noch so jung. Warum wartest du nichtnoch ein Weilchen mit dem Heiraten?, hatte Dolors ihr damals vorgeschlagen. Doch der vorgebliche Philosoph des Widerstands hatte sie leider schon vollkommen in seinen Bann geschlagen. Wieso sollte ich?, hatte Leonor mit naivem Augenaufschlag erwidert, wir lieben uns, haben beide Arbeit und sogar schon eine Wohnung, was wollen wir mehr? Wie viele später gescheiterte Ehen waren damals geschlossen worden, bloß weil Kinder mit zwanzig nicht mehr länger am Gängelband geführt werden wollten? Was bei Leonor ja nicht der Fall war. Ihre Tochter tat, was sie wollte, und kam und ging, ganz wie es ihr beliebte. Dolors war damals nämlich kaum noch zu Hause, zu der Zeit war Eduard nicht mehr da, sie arbeitete schon eine ganze Weile in Antonis Laden und fühlte sich wieder jung, und die Welt war einfach wunderbar.
    Nachdem sie Antoni wieder getroffen hatte, war sie in seine Buchhandlung gegangen, wann immer sie konnte. Ein ganzes Jahr lang kaufte sie bei ihm Bücher vom übriggebliebenen Haushaltsgeld, plauderte mit ihm, half ihm manchmal beim Einräumen der neuen Lieferungen und gewann so den Freund zurück, mit dem sie einst so viel

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