Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
zitternder Hand schon darüberstreichen, fand sich dann aber dessen nicht würdig – und auf einmal brach sie wirklich in Tränen aus, und schluchzend platzte esaus ihr heraus: Verzeih mir, was ich dir angetan habe, Antoni … Ich habe dich geliebt, aber ich stand unheimlich unter Druck … die Familie, weißt du … Mit bangem Herzen fragte sie sich, was Antoni über den Gefühlsausbruch wohl denken würde, doch allem Anschein nach machte sie sich da umsonst Gedanken: Ach, Dolors, das ist schon so lange her, das ist vorbei und vergessen, erwiderte er vollkommen unbekümmert. Nein, das ist es nicht!, dachte sie, aber laut sprach sie es nicht aus. Dann zog Antoni ein Taschentuch aus seiner Hosentasche, hier, nimm, und Dolors trocknete sich damit die Tränen, putzte sich die Nase, und da roch sie das Kölnischwasser, mit dem es parfümiert war. Rasierwasser! Früher hatte Antoni so etwas nicht verwendet, er hätte es sich auch gar nicht leisten können. Doch jetzt hatten sich die Dinge anscheinend geändert. Lieber Gott, was habe ich nur getan?, fragte sich Dolors erneut und schloss für einen Augenblick die Augen, um den herben Männerduft noch einmal tief einzuatmen. Was für einen Fehler habe ich nur gemacht, was für einen schweren Fehler, sie hätte gemeinsam mit Antoni ihren Traum von einer Buchhandlung wahr machen können, wenn sie ihn geheiratet und auf seine Willenskraft und seinen Arbeitseifer vertraut hätte, auf die Zähigkeit, mit der er seine Ziele verfolgte. Doch diese Chance war vertan, und so blieb ihr nur zu fragen: Und, bist du wieder Vater geworden? Schon lange, erwiderte er lächelnd, der Kleine ist bereits zwei Monate alt, und er sagte das so voller Freude, dass Dolors sich sicher war, dass Antoni seine Kinder genauso liebte wie die Bücher. Sag mir, dass du mir verzeihst, bitte, das ist mir sehr wichtig! Da gab ihr Antoni einen Kuss auf die Wange, genauso einen Kuss wie den, den sie ihm bei ihrem ersten Besuch in seinemHaus gegeben hatte. Natürlich verzeihe ich dir. Schwamm drüber. Lass uns Freunde sein.
Manches ist leichter gesagt als getan. Doch jetzt ist Schluss mit der Grübelei, sonst wird sie mit den Armausschnitten nie fertig, sie hat sich nämlich schon wieder verzählt. Auch einen richtig schönen Pullover stricken zu wollen ist leichter gesagt als getan, früher war ihr das noch wesentlich leichtergefallen. Wenn ihre Töchter ihr damals einen Freund oder eine Freundin vorstellten, überlegte sie automatisch, was für einen Pullover sie diesem Kind stricken würde, ob mit Zöpfen, Rippen, gestreift, uni, weit oder tailliert. Heutzutage haben die Kinder ja überhaupt keine Taille mehr. Zum Glück ändert sich das bei Jungen wie Mädchen mit der Pubertät, denn vorher haben alle eine kerzengerade Figur. Ganz früher musste für die Mädchen alles enganliegend sein, später liebten sie den Schlabberlook, und nun ist wieder alles eng und kurz, die Hosen gehen nur noch bis unters Knie, und oft ist noch ein gutes Stück Bauch zu sehen. Ach ja, und wenn möglich, muss in den Bauchnabel auch noch ein kleiner Ring, die Ohren reichen scheinbar nicht mehr. Aber wenn Dolors eins wirklich nicht erwartet hatte, dann, dass Leonor sich auch einen hat stechen lassen. Und das in ihrem Alter!
Den Abwasch ließen sie im Becken stehen, und die Küche war ein einziges Schlachtfeld. Am späten Nachmittag waren Sandra und Mònica ins Kino gegangen, und Jofre war auf dem Sofa eingeschlafen. Logisch, dass er müde war, hatte Dolors da gedacht, schließlich hatte er sich ordentlich verausgabt und war auch nicht mehr der Jüngste. Seufzend hatte sie sich dann erhoben, um in die Küche zu gehen, da sie nicht wollte, dass Leonor die Berge von schmutzigemGeschirr sah, wenn sie aus dem Büro nach Hause kam. Wenn sie denn wirklich arbeiten war, heißt das, aber da sie ja nun zur Führungscrew gehörte, wie sie stolz verkündet hatte, musste sie wahrscheinlich wirklich auch samstags Gewehr bei Fuß stehen. Doch wie dem auch sei: Jedenfalls würde sie hundemüde sein, so viel stand fest.
Auf dem Weg in die Küche musste Dolors das Bein nachziehen, da es ihr immer noch wehtat. Keine Hausarbeit, hatte der nette Arzt angeordnet, stattdessen sollten Sie jedoch ein bisschen Gymnastik machen, die Schwester wird Ihnen ein paar Übungen zeigen, die Ihnen guttun werden und die Sie täglich machen sollten, zehn Minuten nur, mehr nicht. Ja, ja, Dolors hatte genickt, schon lange weiß sie, dass man Ärzten nie
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