Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
über Literatur geredet hatte. Zu Hause erzählte sie natürlich nichts davon, sie ging nur Bücher kaufen, wenn die Mädchen in der Schule und Eduard bei der Arbeit waren. Bis Antoni eines Tages zu ihr sagte: Hör mal, ich habe vor, Philosophie und Literatur an der Fernuniversität zu studieren, willst du dich nicht auch einschreiben? Das ließ sich Dolors nicht zweimal sagen und antwortete mit einem klaren, lauten Ja. An Eduard, die Kinder oder sonst etwas dachte sie dabei nicht, nur daran, endlich, endlich Philosophie zu studieren, und das auch noch mit Antoni! Welch unverhofftes,nie erträumtes Glück! Ja, wiederholte sie deshalb freudestrahlend, ich danke dir. Und was sagte Antoni dazu? Warum bedankst du dich bei mir, ich müsste mich bei dir bedanken, weil du mir bei meinem Abenteuer an der Universität zur Seite stehen willst. Und ich verspreche dir, dass du dir kein einziges Buch dafür kaufen musst.
Das Wort »kaufen« hatte Dolors wieder auf den Bodender Wirklichkeit geholt. Das hatte sie völlig vergessen: Bestimmt musste man Studiengebühren bezahlen und brauchte auch das eine oder andere Buch, Stifte, Papier et cetera. Wie sollte sie das bewerkstelligen? Unter diesen Umständen war es wirklich eine Schnapsidee, sie konnte Eduard unmöglich sagen, dass sie gerne studieren wollte, und erst recht nicht, mit wem, zumal er nicht die geringste Ahnung hatte, dass sie Antoni wieder getroffen hatte. Dennoch dachte Dolors nicht im Traum daran, den Plan einfach so aufzugeben. Darüber grübelnd, wie sie die erforderlichen Mittel irgendwie auftreiben könnte, verließ sie die Buchhandlung, sie war jedoch noch keine hundert Meter gegangen, als Antoni keuchend hinter ihr hergerannt kam: Halt, Dolors, bleib stehen, ich habe mir was überlegt … Möchtest du in meinem Laden mitarbeiten? Wenn du am Vormittag ein paar Stunden kommst, erfährt das keiner … Damit könntest du dein Studium finanzieren, was hältst du davon?
Antoni schaute sie mit leuchtenden Augen an, wie ein Kind, das ungeduldig darauf wartete, ob seine Freundin mit ihm spielen gehen durfte oder nicht. Dolors konnte nicht verhindern, dass sie errötete. Sie hatte Antoni seinerzeit nicht geheiratet, weil er arm war, und nun war er es, der nach einem Ausweg für ihre finanziellen Nöte suchte, ohnedass sie sich dadurch gedemütigt fühlen musste. Und tatsächlich war es die Lösung für ihre Probleme, sodass Dolors strahlend sagte: Abgemacht.
Und so begann sie ihr Fernstudium, ohne dass Eduard etwas davon mitbekam. Das Studieren fiel ihr nicht weiter schwer, da sie all die Jahre viel gelesen und sich so ein gutes Grundwissen angeeignet hatte. Zweifel und Probleme, die im Studium auftauchten, versuchte sie, morgens immer gemeinsam mit Antoni zu lösen. Und was die Lehrbücher betraf, gingen sie nun ebenfalls ganz methodisch vor: Nachdem Dolors vormittags Antoni ein paar Stunden in der Buchhandlung ausgeholfen hatte, lieh sie sich seine Bücher mittags aus, lernte am Nachmittag oder am Abend und brachte sie am nächsten Morgen wieder zurück.
Zwar kam Antonis Frau Maria, die als Empfangssekretärin in irgendeiner Firma arbeitete, manchmal auch in die Buchhandlung, doch tat sie das immer nur samstags, wenn Dolors nicht da war. Antonis Frau wusste nichts von der gemeinsamen Welt der Bücher und der Literatur. Sie wusste auch nicht, welche Art von Beziehung einstmals zwischen Dolors und ihrem Mann bestanden hatte, ich habe ihr bloß gesagt, dass ich noch jemanden für die Hauptgeschäftszeit eingestellt habe, gestand Antoni. Von wegen Hauptgeschäftszeit: Außer den beiden Lehrbuben, die ganztags beschäftigt waren, arbeitete Dolors nur von Montag- bis Freitagvormittag, das heißt immer dann, wenn es am wenigsten zu tun gab.
Dolors und ihr Doppelleben. Zu Hause die aufopferungsvolle Ehefrau und Mutter, draußen die Frau, die durch ihr größer werdendes Wissen und die von Woche zu Woche tiefer werdende Freundschaft immer selbstsichererwurde. Weder Eduard noch Leonor oder Teresa wussten, dass sie an den Vormittagen alle Hände voll zu tun hatte, um rechtzeitig nach Hause zu kommen und so zu tun, als wäre sie nur einkaufen gewesen, und danach zu essen, zu spülen und die Küche aufzuräumen, weil um diese Zeit das Dienstmädchen schon fort war.
Dabei hatte Dolors immer gedacht, ein Doppelleben zu führen sei die alleinige Sache von Hochstaplern, und nun stellte sich heraus, dass so etwas sogar mehr oder minder üblich ist, zumindest in ihrer Familie.
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