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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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Aber er unternahm übermenschliche Anstrengungen, um Dolors zurückzugewinnen, und etwas in seinem Innern hatte ihm gesagt, dass der Weg zu seiner Frau nur über ihre Tochter ging. Was genau geschah, weiß Dolors nicht, nur dass Eduard mit einem strahlenden Lächeln nach Hause kam und erklärte, sie kommt uns besuchen, wann immer sie will. Einfach so, nach Jahren, in denen er kein Wort davon hören wollte, zack, in einer Minute erledigt. Dabei hatte Dolors jahrelang gelitten und sich darüber den Kopf zerbrochen, wie sie die Sache in Ordnung bringen konnte. Was hat sie gesagt? Na ja, dass alles gut ist und dass sie mirverzeiht. Das war alles, was sie Eduard aus der Nase ziehen konnte. Später erzählte Teresa ihr, oh, er hat mich um Verzeihung gebeten, und ich habe es ihm nicht abschlagen können, armer Papa, ihm geht es wirklich schlecht, er hat sich sehr verändert, Mama   … Man bekommt Beklemmungen, wenn man ihn sieht. Bei diesen Worten wurde es Dolors ganz kalt ums Herz, und am liebsten hätte sie gesagt, keine Sorge, Kind, das ist bald vorbei.
    »Wann ziehst du aus?«
    Sandra schaut ihren Bruder furchtsam an.
    »Wahrscheinlich nächsten Monat.«
    Da fängt Sandra zu weinen an, zuerst ganz leise, dann aber immer heftiger, sodass Martí sich zu ihr beugt und sie in den Arm nimmt.
    »Mensch, Sandra, ich ziehe doch nicht in ein anderes Land, Dani wohnt hier um die Ecke, ganz in der Nähe. Und du kannst mich besuchen, wann immer du willst.«
    Sandra nickt unter Tränen. Es kommt für sie Schlag auf Schlag, überlegt Dolors, erst hat sich ihr Freund von ihr getrennt, und jetzt zieht auch noch ihr Bruder aus, den sie so sehr liebt. Armes Kind, es müsste verboten werden, dass so etwas passiert, ganz besonders in diesem Alter. Das Schicksal oder Gott oder wer auch immer müsste sich doch im klaren darüber sein, dass bestimmte Schläge bei sensiblen Menschen nur nach und nach und mit aller Vorsicht ausgeteilt werden dürfen. Dolors sieht das Stück Fleisch, das Sandra sich vorhin zerstreut in den Mund gesteckt hat, auf dem Tellerrand liegen. Sie muss es diskret ausgespuckt haben, das Kind ist zwar magersüchtig, aber manierlich. Jetzt, da sie weint, sieht man noch deutlicher, dass sie nur noch aus Haut und Knochen besteht, ihre Augen sind eingefallen,und ihre Wangenknochen treten stark hervor, das sieht wirklich nicht hübsch aus. Aber wer sieht schon gut aus, wenn alles verkehrt läuft? Die beiden Geschwister umarmen sich, und nach einer Weile scherzt Martí.
    »Also echt, ich hätte nie geglaubt, dass es eine Tragödie wird, wenn ich mal ausziehe. Dann hast du doch viel mehr Ruhe, Sandra.«
    Sandra weint lauter und schluchzt kaum verständlich, aber ich habe dich so gern.
    Jetzt, da sie Sandra im Profil sieht, stellt sie fest, dass der Pullover vielleicht noch ein bisschen zu kurz ist. Das muss sie sich noch einmal genauer ansehen, dabei hat sie gedacht, sie würde heute mit dem Vorderteil fertig. Als sie vor ein paar Wochen mit dem Stricken anfing, hatte sie sich genau an Sandras Maße gehalten. Aber da ihre Enkelin weiter abnimmt, ändert sich alles. Verärgert grummelt Dolors in sich hinein, vielleicht nehme ich besser gleich bei deinem Röntgenbild Maß, Kind, dann passt er in ein paar Wochen bestimmt wie angegossen. Martí gibt seiner Schwester einen Kuss und drückt sie liebevoll an sich. Jetzt kann man ihre Schultern nicht mehr sehen, Martí, nimm die Arme weg, ich sehe nichts, Heilige Jungfrau Maria, was für eine Katastrophe, sie liegen sich hier in den Armen, dabei macht sich Dolors ernsthaft Sorgen wegen Sandras Pullover. Müssen die jungen Leute immer gleich so ein Theater machen. Müssen sie allem eine Bedeutung geben, das ist doch nur eine Begleiterscheinung des Lebens, ein Hin und Her, mehr nicht, alles kehrt am Ende an den Ausgangspunkt zurück. Das Leben ist nur ein wandelndes Schattenbild, das hat doch schon Macbeth gesagt, ein armer Komödiant, der sich spreizt und knirscht, und wie es knirscht, und nachherstellt sich heraus, dass gar nichts ist. Oder war das Hamlet? Na, egal, wer das war, Sandra, Liebes, wozu soll das gut sein, dass du nicht isst und immer dünner wirst. Der Einzige, der in ihrer Familie das Leben in vollen Zügen genießt, ist Martí. Und Teresa natürlich, es muss etwas damit zu tun haben, dass Leute wie sie sich outen müssen. Aber man kann das Leben nun einmal nicht einfach so nehmen, wie es kommt, ohne einem anderen wehzutun, außer wenn man sich von allem fernhält. Ist

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