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Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman

Titel: Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanca Busquets
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Kleid in der Kirche heiraten. Als das bei Jofre und ihr spruchreif wurde, erklärte sie ihrer Mutter, ich werde das schönste Kleid haben, das du je gesehen hast, und beschrieb, wie sie es sich vorstellte. Damals dachte Dolors, o mein Gott, ich muss einen Kredit aufnehmen, denn zu dem Zeitpunkt war sie nicht sonderlich gut bei Kasse.
    Da Leonor ihr ganzes Sekretärinnengehalt für den Kauf einer Wohnung verwendete, in der sie mit ihrem frischangetrauten Jofre leben wollte, konnte Dolors nur mit dem rechnen, was sie in der Buchhandlung verdiente, und dabei musste sie noch die Gläubiger der Fabrik befriedigen. Leonor malte sich aus, so erzählte sie immer, wie sie am Arm des Großvaters, der damals noch lebte, durch den Mittelgang schritt. Die Schleppe würde auf dem Boden sicher schmutzig, erklärte sie, doch das wäre egal, denn später, bei der Hochzeitsfeier, würde sie sie ablegen und dann ein wunderschönes tailliertes Kleid tragen, ebenfalls mit elfenbeinfarbenen Volants am Saum. Diese elfenbeinfarbenen Volants hatten es ihr angetan. Das Oberteil wäre weit ausgeschnitten, stellte sie sich vor, langärmlig und bis zur Taillerückenfrei. Und nicht zuletzt würde ein Schleier sie verhüllen, bis Jofre ihn ihr vor dem Altar abnahm, das wäre sicher ein sehr bewegender Moment.
    Das war Leonors großer Traum. Bis der Trottel von Jofre zu ihr meinte, das ist hier doch kein Märchen der Gebrüder Grimm, Süße, wir regeln den Papierkram, und damit hat es sich. Aus der Traum, Leonor heiratete auf dem Standesamt im kurzen Hippiekleid, und die dumme Gans lächelte trotzdem.
    »Hast du mal darüber nachgedacht, ob du dich nicht vielleicht irrst?«
    Mit dieser famosen Frage ist Jofre also am Ende herausgerückt. Das also ist die Antwort des Vaters auf Martís Frage. Aufmerksam mustert Jofre die Weinflasche. Er sieht einem nie in die Augen, wenn er spricht, er kann dem Blick eines anderen nicht standhalten, erst recht nicht dem Blick seines Sohnes. Jofre weiß nicht, wie er seinen Sohn in den Griff bekommen soll, der Junge denkt zu viel, argumentiert zu viel, war nie wirklich ein Heranwachsender, oder vielleicht ja doch, aber zumindest von außen scheint es so, als hätte er nie Zweifel gehabt. Jetzt sieht er seinen Vater an. Und stellt eine Gegenfrage.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich meine   … das mit der Homosexualität   … in deinem Alter probiert man doch alles erst noch aus und   … Also, ich glaube nicht, dass du schwul bist.«
    Jofre mustert weiter den Wein, doch schließlich hebt er den Kopf und sieht seinen Sohn an. Eben, als Martí sich offenbart hat, hat er ihn mit dem gleichen Blick angesehen, aber geschwiegen. Martí lächelt.
    »Natürlich kann ich mich irren, aber mit zwanzig Jahrenweiß man allmählich, wie man gepolt ist, meinst du nicht? Die Triebe trügen nicht, Papa.«
    »Die Triebe können sich irren.«
    Na bitte, da hat er mal wieder großen Blödsinn von sich gegeben. Keine Ahnung, warum ihr Schwiegersohn immer den gleichen Mist verzapft. Nun können also sogar die Triebe irren. Interessant. Wie tut es Dolors in diesem Augenblick leid, dass sie nicht sprechen kann, denn sonst würde sie jetzt aufstehen und ihre Stimme erheben. Wenn Triebe irren können, dann sag mir bitte, wie das gehen soll, das wüsste ich nur zu gern. Weil sie aber nicht so einen lachhaften, unverständlichen Laut von sich geben will, umklammert Dolors ihre Gabel so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortreten, und schließt die Augen.
    »Geht es dir gut, Mama?«
    Leonor hat die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, um die Lage zu beruhigen. Dolors nickt. Die Atmosphäre entkrampft sich ein wenig, und Martí fährt fort:
    »Die Triebe können nicht irren, Vater. Sie können bestenfalls verdrängt beziehungsweise vom Kopf oder von sozialen Normen kontrolliert werden, aber ganz bestimmt irren sie sich nicht. Das müsstest du doch   … Ganz bestimmt irren sich die Triebe nicht.«
    Dolors grinst innerlich. Das müsstest du doch eigentlich wissen, hat Martí auf der Zunge gelegen, aber er hat den Mund gehalten, das war ihm anscheinend doch zu vorlaut. Es ist aber auch wirklich ein starkes Stück, dass ein Studienrat solch einen Unsinn von sich gibt und ihn ein Zwanzigjähriger aufklären muss. Martí sieht seinen Vater an und wartet ruhig darauf, dass Jofre noch etwas sagt.
    Dieser Junge ist ein Juwel. Er ist so anders als seine Altersgenossen,und Dolors freut sich, dass er sich mit Dani versteht, der ihr gefällt, weil er gute

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