Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
Antibiotika Eduard allergisch war, gingen sie zum Arzt. Ah ja, sagte der Landarzt, das heißt, dass Sie ein sehr effektives Mittel, das Ihre Frau bekommen wird, nicht nehmen können. Sie bekommen dafür ein anderes, das wird Ihnen helfen, wenn auch nicht so schnell. Er stellte zwei Rezepte aus und erklärte ihr dann den Weg zur Apotheke, während Eduard nach Hause schlich, Dolors, ich bin am Ende, das besorgst du doch für mich, nicht wahr?
Natürlich! Der Infekt hatte Dolors längst nicht so heftig erwischt wie Eduard. Auf dem Rückweg zur Wohnung schmiedete sie den Plan. Der Doktor hatte ihnen zusätzlich einen Sirup verordnet, von dem man müde wurde. Es lief wirklich wie geschmiert.
Was sie da aus dem Stegreif inszenierte, war zugegebenermaßen wirklich brillant. Unter dem Vorwand, sie nicht anstecken zu wollen, brachte Dolors Leonor bei einer Freundin unter; zumindest ein paar Tage, bis Sie sich besser fühlen, meinte die Mutter des Mädchens. Kaum war Leonor weg, verabreichte Dolors Eduard dann den Sirup, damit er ein bisschen schlafen konnte, denn er war die ganze Nacht wach gewesen und fieberte stark. Als er schon fast eingeschlafen war, flüsterte sie ihm zu, verzeih, ich hab vergessen, dir das Antibiotikum zu geben, und ließ ihn dann die Tablette schlucken, die er unter keinen Umständen nehmen sollte, die ihn ein für alle Mal unter die Erde bringen konnte. Eduard nahm sie gehorsam wie ein kleines Kind. Schlaf wohl, und glaub mir, es ist das Beste für alle, verabschiedete sich Dolors in Gedanken von ihm, nie wieder würde dieses menschliche Wrack an ihrem Rockzipfel hängen, laut sagte sie aber gleichmütig: Ruh dich aus, ich muss noch einkaufen gehen, wir haben nichts mehr zu essen im Haus. Er nickte bloß mit geschlossenen Augen und murmelte, ich bin so müde.
Unsere Tochter sieht aus, als käme sie aus einem Vernichtungslager, sagte Jofre erschüttert, nachdem der Arzt Sandra ein Aufbaupräparat gespritzt hatte und sie die Kleine mit ihrem Bruder allein gelassen hatten. Er hatte vollkommen recht, ja, vielleicht war das wirklich die passendste Beschreibung für ihren Zustand. Was hat sie?, fragte Leonor beklommen. So wie ich das sehe, isst Ihre Tochter nichts mehr, sagte der Arzt darauf vorsichtig. Natürlich isst sie!, widersprach Leonor sofort. Sie hat gesagt, sie sei zu fett.
Schweigen.
Letzten Sonntag hat sie einen Riesenteller Makkaroniverdrückt, sagte Leonor unsicher. Und am Samstag ein Steak, sprang Jofre seiner Frau bei. Und wie ernährt sie sich unter der Woche?, wollte der Arzt wissen. Darauf zuckten die beiden dann nur noch die Achseln und wurden knallrot.
Da riss Dolors der Geduldsfaden endgültig. Sie konntenicht mehr länger schweigen. Zum ersten Mal seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus erklärte sie mit Gesten und Lauten, diesen degenerierten, debilen Lauten, dass Sandra sich hinterher immer übergab, jedes Mal. Das kann ich nicht glauben!, rief Leonor fassungslos, als sie verstand, was ihre Mutter da preisgab. Der Arzt, ein genauso heller Kopf wie der, bei dem Dolors in Behandlung war, schüttelte jedoch besorgt den Kopf: Das sollten Sie aber. Denn so etwas habe ich mir schon gedacht. Ihre Tochter ist magersüchtig und muss dringend behandelt werden. Versuchen Sie, dass sie etwas zu sich nimmt, und kommen Sie in meine Praxis, sobald sie wieder aufstehen kann. Dann reden wir ausführlich darüber. Wenn sie nichts essen will, flößen Sie ihr Zuckerwasser mit Zitrone ein, Cola, Säfte und Milch. Versuchen Sie, dass sie etwas zu sich nimmt, das Mädchen ist sehr, sehr krank.
Auch Eduard war sehr krank, doch er starb nicht. Heiliger Strohsack, warum funktioniert das nicht wie beim ersten Mal? Ungläubig schüttelte Dolors den Kopf, als sie nach zwei Stunden zurück ins Ferienhaus kam. Der Kranke schlief, atmete aber heftig. Er hatte hohes Fieber und war bis oben hin zugedeckt. Dolors machte kein Licht, um ihn nicht sehen zu müssen. Sie wollte nicht wissen, wie er aussah, mit all diesen Quaddeln, die er schon beim letzten Mal gehabt hatte, den geschwollenen Lippen und … Sie ging in die Küche, machte Abendessen für sie beide und stiegdann hoch in die Schlafkammer unterm Dach, wo sie sich auf dem Bett ausstreckte, um sich ein wenig auszuruhen. Sie bemühte sich, die Ohren vor dem furchtbaren Keuchen aus dem anderen Zimmer zu verschließen, das im ganzen Haus zu hören war.
Eduard starb nicht, nein, weshalb es Zeit für die nächste Dosis des giftigen Antibiotikums wurde.
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