Die Woll-Lust der Maria Dolors - Roman
machte, wo Großmutter und Enkel in dem für seine Schokolade berühmten Café in den höchsten Wonnen schwelgten.
Ach Gott, was hatte Dolors für große Schuldgefühle. Zum allerersten Mal. Sie hatte einen dicken Kloß im Hals, der sie kaum noch atmen ließ. Auch Eduard atmete schwer, er soll sterben, lieber Gott, mach, dass er schnell stirbt, alssie sah, wie er litt, das hatte sie nicht gewollt, sie wollte ihn doch nur zu ihrer aller Besten aus dem Weg räumen, und das gestaltete sich nun schwieriger als gedacht. Hatte der Arzt nicht gesagt, beeilen Sie sich, wenn das noch einmal vorkommt? Hieß das etwa nicht, dass Eduard andernfalls sterben würde? Warum geschah es dann nicht? Gern hätte sie mit Antoni darüber gesprochen, doch er hätte sie nie verstanden. Weder er noch sonst jemand, das war klar, sie durfte mit niemandem darüber sprechen.
In den frühen Morgenstunden fasste sie sich ein Herz und ging wieder zu ihrem Mann ins Zimmer. Sein Gesicht sah grauenhaft aus. Er lag nach wie vor im Fieberwahn, sein Atem ging sogar noch schneller, und nun klagte er, mein Rücken, mein Rücken, sicher hatte er dort auch jede Menge Quaddeln. Du liebe Güte, Dolors konnte das nicht mitanhören. Das war kein Gnadenstoß, das war Folter, und eine Sadistin war Dolors nun wirklich nicht.
Bis zur nächsten Einnahme des Antibiotikums waren es eigentlich noch zwei Stunden, aber sie gab ihm die Tablette gleich, ich mache mir große Sorgen um dich, die Sonne geht gerade erst auf, aber wenn es dir in einer Stunde nicht besser geht, rufe ich den Arzt. Doch Eduard antwortete nicht. Stirb, nun stirb endlich, flehte Dolors ihn in Gedanken an, und dann kniete sie vor seinem Bett nieder und richtete ein Stoßgebet zum Himmel: Falls es dich wirklich gibt, Gott im Himmel, mach, dass er nicht mehr zu leiden braucht, nimm ihn zu dir, bitte, nimm ihn endlich zu dir.
Aber Gott nahm ihn nicht zu sich. Vielleicht gab es ihn nicht, oder er war an diesem Morgen zu faul, für eine solche Anstrengung musste er wohl in einer besonderen Stimmung sein. Nach einer Stunde hastete Dolors aus demHaus, um vom Krämer aus den Arzt anzurufen, bitte, kommen Sie sofort, mein Mann stirbt, ich glaube, ich habe mich im Medikament geirrt, o mein Gott! Beim Auflegen fühlte sie sich wie ein Monstrum, sie hatte den Tod eines Menschen herbeigewünscht und versucht, ihn umzubringen. Lieber Gott, wie ist es möglich, dass ich mich dazu habe hinreißen lassen? Der Hass und die Verachtung für Eduard hatten sie ja vollkommen blind gemacht! Dolors war hundeelend zumute, und sie wollte ihm nur das Leben retten. Alles andere würde sich erweisen, sie würden schon eine Lösung finden, irgendwie würde Eduard schon allein zurechtkommen, wenn sie ihn verließ. Es war wirklich nicht nötig, ihn zu töten. Während sie auf den Arzt wartete, setzte sie sich neben ihn, hielt seine Hand und musterte entsetzt seinen Körper. Am liebsten wäre sie bei diesem Anblick auf der Stelle selbst tot umgefallen, so schuldig fühlte sie sich. Tränenüberströmt flehte sie, verzeih mir, Eduard, verzeih mir, aber der Arzt kommt gleich, er kommt gleich.
Stocksteif saß Sandra da und starrte auf die Tasse Schokolade und die Hefeschnecke, als sähe sie sie gar nicht. Ihre Eltern hatten es für eine großartige Idee gehalten, sie mit ihrem Lieblingsessen zu locken. Dolors musste wirklich den Kopf schütteln. Sandra aß doch nicht etwa deshalb nichts, weil sie Schokolade, Steaks, Nudeln, Gemüse, Reis nicht mochte. Sandra aß nichts, weil sie sich dick fand, und sie fand sich zu dick, weil sich ihre Wahrnehmung der Wirklichkeit verändert hatte.
Alles in dieser Welt ist relativ, sagen eine ganze Reihe von Philosophen, eine Ansicht, die Dolors durchaus teilt. Eine absolute Wahrheit gibt es nicht, genauso wenig wie »Das mag ich für immer und ewig«. Denn äußere Umständekönnen sich ändern und der Grund dafür sein, dass einen bestimmte Dinge auf einmal nicht mehr interessieren, weil von außen ein stärkerer, gewichtigerer Impuls die Sicht auf das versperrt, was früher so verführerisch war. Was für ein Sermon, Dolors, sagt sie nun zu sich selbst, du hättest ein Buch schreiben sollen, wer weiß, ob das nicht zu einem Bestseller geworden wäre, aber dafür ist es jetzt zu spät, mit der zittrigen Hand geht das nicht mehr. Und heute kann sie ja beinahe nicht einmal stricken, und das ist wirklich höchst ärgerlich!
Ich mag das nicht trinken, sagte Sandra leise, und außerdem macht das
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