Die Wuensche meiner Schwestern
sich, ob Vic ihre Hand losgelassen hatte, weil ihm klargeworden war, dass es seinem Geschäft schaden konnte, mit ihr in der Öffentlichkeit gesehen zu werden – etwas, das Aubrey hätte voraussehen sollen? Oder musste er sich einfach nur kratzen oder brauchte die zuvor beschäftigten Finger anderweitig?
Sie lehnte den Kopf gegen den Sitz zurück. Sie wollte keine Reibereien zwischen ihnen, nicht so früh schon. Sie genoss jeden Augenblick mit ihm: Sie war noch nie zuvor so hingebungsvoll umworben worden. Sie hatte das Gefühl,als hätte er sie einen langen, schmalen Gang entlanggeführt und sie dabei auf all die schönen, seltenen und verlockenden Dinge am Rand hingewiesen und ihr gezeigt, was davon das Seine war, und sie hatte geglaubt, wenn sie ihm immer weiter folgte, würde sich der Gang irgendwann in einen wunderbaren, vollkommen überwältigenden Palastsaal öffnen, der nur für sie beide da war. Aber nun erkannte sie, dass es genauso gut möglich war, dass sie diese Reise niemals zu Ende führen würden. Und vielleicht war es für sie beide das Beste, sofort umzukehren.
»Manchmal denke ich einfach …«
»Was?«, fragte er.
»Ich wünschte, die Dinge wären anders«, sagte sie.
»Hat dir der Abend nicht gefallen?«
»O doch, das hat er. Er war perfekt. Ich spreche von der Strickerei.«
»Tut mir leid, Aubrey, ich kann dir nicht folgen«, meinte Vic etwas unterkühlt.
Sie rieb sich die Wange und genoss das raue Kratzen der Wolle ihres Handschuhs. Mariah hatte ihr beigebracht, dass man eine Sache, die zu sagen einem schwerfiel, einfach aussprechen und erst hinterher darüber nachdenken sollte. »Es könnte sein, dass Ruth Ten Eckye dir in Zukunft keine Aufträge mehr gibt oder dich nicht weiterempfiehlt.«
»Warum nicht?«, fragte Vic mit gerunzelter Stirn. »Sie ist mit meiner Arbeit zufrieden. Und ich mache ihr immer ein günstiges Angebot.«
»Sie wird dich nicht in ihren Kreis aufnehmen, wenn du dich weiterhin öffentlich mit mir sehen lässt.«
Vic schwieg. Er blickte aus der Windschutzscheibe, und Aubrey erkannte, dass etwas von dem, was sie gesagt hatte, einen Nerv getroffen hatte – falls er sich bislang noch keine Gedanken darüber gemacht hatte, was es bedeutete, Ruth mit Aubrey an seiner Seite zu begegnen, dann tat eres jetzt. »Was haben denn meine Gefühle für dich bitte schön damit zu tun, ob ich bei Ruth eine neue Balkontür einbaue?«
Gefühle für dich, hörte sie. Gefühle für dich.
Sie schlang sich die Arme um den Bauch. »Ich kann es dir nicht in allen Einzelheiten erzählen, das wäre nicht richtig. Ich kann dir nur so viel sagen: Die Frauen in Tarrytown haben uns Van Rippers seit den ersten Tagen der Strickerei ihre Geheimnisse anvertraut. Wir wissen eine Menge über die Leute, mehr, als wir wissen sollten. Und daher haben wir uns stets aus dem gesellschaftlichen Leben Tarrytowns herausgehalten – zumindest nach außen hin. Sie wollen uns nicht dabeihaben.«
»Ich schätze, da verpasst ihr nicht allzu viel«, kommentierte Vic.
»Nein – Vic. Ich möchte sichergehen, dass du das verstehst. Wenn du dich mit mir abgibst, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie dich auch ausgrenzen.«
»Hmm«, machte Vic.
Aubrey standen die Tränen in den Augen, doch sie blinzelte sie fort. »Und dann ist da noch das mit dem Wahnsinn.«
»Was?«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen, also starrte sie aus dem Fenster. »Meine Familie … manchmal geschieht etwas mit uns. Meine Schwester Bitty meint, es sei nur gewöhnliche Demenz, also etwas, was jeder Mensch bekommen könnte, weißt du? Und sie meint, dass das einsame Leben in der Strickerei es schlimmer macht. Aber Mariah und all die anderen Hüterinnen haben stets behauptet, es sei der Fluch von Helen Van Ripper. Niemand kann sagen, wen es trifft und wer verschont bleibt. Aber manche von uns Van Rippers verlieren den Verstand.«
Vic sah sie lange an. »Aubrey … was willst du mir eigentlich sagen?«
Sie wünschte, er würde sie noch einmal berühren, auf diese einfache und so vertraute neue Art und Weise: ein Arm um ihre Schulter gelegt, diese drängende und verheißungsvolle Hitze. Doch er saß nur da, die Handflächen auf seinen Jeans, und rührte sich nicht.
»Ich befürchte, das hier ist keine gute Idee«, erklärte sie. Die Worte, die sie sagte, kamen ihr fremd vor, wohl weil sie sie nicht aus vollem Herzen sprach. »Ich meine, du und ich.«
Er blickte aus seinem Seitenfenster und atmete schwer, so dass die Scheibe
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