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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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Möglichkeit, sie rückgängig zu machen, ebenso wenig wie Ruth Aubrey einfach ignorieren konnte, ohne ihre guten Manieren zu vergessen. An einem anderen Abend wäre Aubrey vermutlich beschämt gewesen – sie hatte vergessen, wer sie war und welcher Platz ihr zustand, wenn sie auf die Idee kam, Ruth einfach in aller Öffentlichkeit anzusprechen. Doch in diesem Augenblick entschied Aubrey, dass es ihr egal war. Sie hatte einen schönen Abend, und er würde auch weiterhin schön sein, und niemand würde ihr dabei im Weg stehen – noch nicht einmal eine elitäre alte Dame, die weder Mitgefühl mit Menschen jenseits ihrer Einkommensschicht noch mit Waschbären hatte.
    Sie trat ein wenig näher an Vic heran und rechnete damit, dass Ruth fliehen werde, ohne sich herabzulassen anzuerkennen, dass Aubrey etwas gesagt hatte. Doch stattdessen drehte Ruth sich noch ein wenig weiter herum, bis sie Vic sehen konnte, und zu Aubreys Verblüffung verzog sich ihr hartes Gesicht unfreiwillig zu einem Lächeln.
    »Ach, sieh an, wer da ist!«, entfuhr es Ruth. »Na, hallo, Victor.«
    »Mrs. Ten Eckye«, erwiderte Vic. Er zog die Mundwinkel nach oben. Die Menge hatte sich nun weit genug verstreut, dass sie stehenbleiben konnten. »Sie sehen gut aus heute Abend. Hat Ihnen das Spiel gefallen?«
    »Ich interessiere mich nicht für Football«, erwiderte Ruth. »Aber mein Enkel war bei der Halbzeitaufführung dabei. Er spielt eine wichtige Rolle bei der diesjährigen szenischen Lesung.«
    »Toll«, sagte Vic und lächelte erneut.
    Aubrey schwieg. Sie hatte plötzlich gemerkt, dass Vic ihre Hand schon vor einer Weile losgelassen hatte, obwohl sie nicht genau sagen konnte, wann es gewesen war. Sie hob einen ihrer Handschuhe an – es war ein lila-weißer, im lettischen Stil gestrickter Fäustling, der mit Eulen auf einem Baum verziert war – und tat so, als studierte sie das Muster.
    »Alles in Ordnung mit Ihrer neuen Balkontür?«, fragte Vic.
    »Alles bestens«, erwiderte Ruth. »Ich habe gehört, dass Sie auch ein paar Arbeiten für meine Freundin Gladys übernommen haben.«
    »Ihre Fensterbank«, bestätigte Vic. »Vielen Dank für die Empfehlung.«
    »Oh, das habe ich doch gern getan«, behauptete Ruth.
    Sie unterhielten sich ein paar Minuten, die Aubrey wie Stunden vorkamen, während sie schweigend zuhörte. Sie fühlte sich immer weiter ins Abseits gedrängt – aus sich selbst heraus, fort von Vic und von allem und jedem um sie herum. Die Menge, die wie eine üppige Frühlingsquelle gewesen war, versickerte zu einem Rinnsal, und unter Pullover und Jacke zitternd, stellte Aubrey fest, dass der Abend ohne die Wärme all der Menschen kühl geworden war. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, dass Ruth sich an sie wenden würde, und versuchte, sich die Überraschung nicht anmerken zu lassen, als die alte Frau sich zu ihr umdrehte.
    »Aubrey, Liebes«, fing Ruth an. Aubrey wusste, dass sie damit ein Risiko einging: Man durfte zwar sehen, wie sie mit Vic sprach, nicht jedoch mit Aubrey, wenn sie vermeiden wollte, unter ihren Freundinnen zum Gegenstand von Spekulationen zu werden. »Vic hat in meinem Haus so wunderbare Arbeit geleistet. Ich hoffe, dass er das auch in Zukunft tun kann.«
    »Aber natürlich, immer gern«, rief Vic lachend.
    Er hörte nicht, was Aubrey hörte: die versteckte Drohung. Die unausgesprochene Warnung. Vic hatte Monate damit zugebracht, einen Kunden nach dem anderen zu gewinnen. Ein böses Wort von Ruth, mit Bedacht vor ein, zwei der besseren Familien Tarrytowns fallengelassen, würde Vics Chancen zunichtemachen, sich bei den zahlungskräftigen Kunden zu etablieren.
    Aubrey gab keine Antwort, doch ihr Schweigen schien unbedeutend. Vic und Ruth verabschiedeten sich freundlich voneinander, und als Ruth fort war, steuerte Vic auf den Transporter zu. Er unterhielt sich weiter nett mit Aubrey, ergriff aber nicht noch einmal ihre Hand.
    Als Vic vor der Strickerei parkte, den Motor ausschaltete und die Warnblinkanlage anließ, war Aubrey bereits in tiefes Schweigen verfallen. Sie steckte im Sumpf ihrer Gedanken fest und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Ihr Blick fiel aus dem Fenster auf die Strickerei, und ihr wurde bewusst, dass andere Leute in diesen Tagen dabei waren, ihre Häuser mit schiefen Fensterläden und Spinnweben zu schmücken, während die Strickerei all das ohnehin besaß.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Vic.
    »Oh – ja«, erwiderte sie.
    »Was ist los?«
    Sie seufzte. Die Schwarzseherin in ihr fragte

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