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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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sie diese Sache lieben konnte: die kalte Herbstluft, den Jubel der Tarrytowner auf der Zuschauertribüne und Vic – der sie einen flüchtigen Blick auf ein Leben werfen ließ, das sie sich immer gewünscht, das zu wünschen sie sich aber stets gefürchtet hatte. Sie schmiegte sich enger an ihn und war überwältigt davon, wie selbstverständlich es sich anfühlte, ihn zu berühren, als stünden sie schon ihr ganzes Leben so da, die Arme beiläufig umeinandergeschlungen. Und doch erhitzten sich ihr Blut und ihre Haut; sie wollte das hier, und noch mehr.
    »Komm, setzen wir uns auf die Tribüne«, forderte er sie auf.
    Sie erstarrte. »Jetzt?«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann von hier aus ganz gut sehen.«
    Er lachte. »Kannst du nicht.«
    »Okay, du hast recht.« Aubrey zog sich die Mütze tiefer in die Stirn. Ihre Bedenken waren albern; es gab keinen Grund, sich an diesem Abend vor der Menge zu fürchten. Die Zeiten, in denen man Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt oder gesteinigt hatte, waren lange vorüber. Das Schlimmste, was sie womöglich über sich ergehen lassen musste, waren ein paar böse Blicke – und die konnte sie ertragen; an diesem Abend konnte sie alles aushalten. »Setzen wir uns.«
    Sie überquerten das Spielfeld und quetschten sich auf einen freien Platz in den Rängen. Aubrey spürte das kalte Metall unter ihrem Hintern.
    »Ist das nicht toll?«, fragte Vic.
    »Das ist es«, erwiderte sie.
    Das Spiel ging weiter. Aubreys Kaffee wurde langsam kalt, und sie trank ihn rasch aus. Vic beantwortete geduldig und ohne einen Hauch von Herablassung all ihre Football-Fragen, und bald sprang auch Aubrey auf und jubelte mit der Menge. Ihre Sorgen schwanden langsam. Sie bemerkte, wie sich ein paar Schüler von der Highschool versammelten – das musste die Schauspielgruppe sein. In der Halbzeit führten sie einen wilden kleinen Sketch auf, um das Publikum zur alljährlichen szenischen Lesung der »Legende von Sleepy Hollow« einzuladen. Aubrey fragte sich, ob der Junge, der Brom Bones verkörperte, Ruth Ten Eckyes Enkel war. Sie hatte ihn allerdings nie kennengelernt und konnte aus dieser Entfernung auch keine Ähnlichkeiten ausmachen.
    Nach dem Spiel – die Horsemen hatten gewonnen, die Menge war euphorisch, und jeder klatschte mit jedem ab – leuchtete Aubreys Herz so voll wie der Mond über den Baumwipfeln. Man hatte sie in Ruhe gelassen: Niemand hatte mit dem Finger auf sie gezeigt, sich bekreuzigtoder andere Gesten zur Abwehr des bösen Blicks gemacht. Die Angst war verschwunden, und ihre Abwesenheit fühlte sich so leicht und frisch an wie die Luft nach einem Sommersturm. Sie drängten sich mit der Menge weg von der Tribüne; in der Enge traten die Leute um sie herum wie Pinguine von einem Bein auf das andere. Vic ergriff ihre Hand, was geheim und verboten wirkte, wie eine im Verborgenen übermittelte Nachricht zwischen ihnen. Sie spürte den Ruf des Herbstes, das Bedürfnis zu rennen, bis ihr die Luft ausging, zwischen dem Gras und den Sternen auf dem Boden zu liegen, sich im Kreis zu drehen, bis sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Doch die Van Rippers waren schon berüchtigt genug, also neigte sie bloß den Kopf, damit Vic sie ansehen konnte, und lüftete den Deckel über ihrem Lächeln nur ein wenig.
    »Was?«, fragte er, lächelte jedoch zurück, als würde er das Geheimnis kennen – was ihr Lächeln noch breiter machte.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie. Sie presste die Lippen zusammen.
    Sie strahlte, hielt Vics Blick und Hand fest, bewegte sich inmitten der Menge voran, und in ihrer überreizten Phantasie erwachten andere, sinnlichere Ideen, wie man eine raue Herbstnacht mit einem großartigen Mann verbringen könnte – als sie auf einmal gegen Ruth Ten Eckye stieß. Die Menge war unerwartet zum Stillstand gekommen, und Aubrey lief direkt in den grauen Pelz von Ruths teurem Waschbärmantel hinein.
    »Ruth!«, rief Aubrey fröhlich. »Tut mir leid. Alles in Ordnung?«
    Ruth wandte sich im Gehen leicht nach hinten, um zu sehen, wer sie angesprochen hatte.
    »War das in der Halbzeitaufführung Ihr Enkel?«
    Ruth straffte die Schultern und zog die Augenbrauen hoch wie eine Stummfilmdiva. Die Erkenntnis traf Aubreywie ein Stein zwischen die Augen: Ruth Ten Eckye wollte nicht mit einer Hüterin der Strickerei im Gespräch gesehen werden. Natürlich.
    In Ordnung, dachte Aubrey. Das ist in Ordnung. Aber die Frage, die sie gestellt hatte, hing zwischen ihnen in der Luft, und es gab keine

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