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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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Ferne die eindrucksvolle Skyline Manhattans ausmachen, die hell glitzernd in den Himmel ragte.
    Früher war sie immer mit ihren Schwestern hierhergekommen. Dann saßen sie nebeneinander, unterhielten sich und beobachteten den Sonnenuntergang – und bekamen unweigerlich Ärger mit Mariah, wenn diese sieerwischte. Doch an diesem Abend war Tori an Meggies Seite und trank mit Kirschsaft gemischten Wein. Um ihren Hals war ein bunter Möbiusschal geschlungen. Tori hatte noch nicht begriffen, dass Meggie ihn ihr als Abschiedsgeschenk gestrickt hatte. Die Möbiusschleife, eine Struktur mit nur einer Kante, eine Linie, die sich unendlich um sich selbst drehte, war ihr als passende Geste erschienen: Auch wenn Meggie fortging, sollte ihre Freundschaft bis in alle Ewigkeit Bestand haben.
    »Ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht mitkommen sollte, wenn du wieder aufbrichst«, sagte Tori.
    Meggie drehte den Kopf; ein sanfter Wind blies ihr hinters Ohr. »Wieso das denn?«
    Tori zuckte die Achseln. »Aus demselben Grund, aus dem du gehst. Um die Welt zu sehen. Mal raus aus Tarrytown zu kommen. Irgendwann hat man mehr als genug Neuinszenierungen des kolonialen Amerikas miterlebt.«
    »Ich weiß, was du meinst. In dieser Jahreszeit kann man keinen Eckladen betreten, ohne dass man auf jemanden in Schürze und Petticoat trifft.«
    »Oder einen nach Stall riechenden Rentner in Kniehosen, der auf seinem iPhone SMS schreibt«, fügte Tori hinzu.
    »Oder Zombies, die um sieben Uhr morgens, noch bevor du deinen ersten Kaffee getrunken hast, auf dem Parkplatz von Dunkin Donuts gegen deine Autofenster hämmern und mit Werbeflyern für ein Geisterhaus vor deiner Nase herumwedeln.«
    »Okay, du hast gewonnen«, sagte Tori.
    Meggie lachte.
    »Im Ernst«, fuhr Tori fort. »Lass mich mitkommen. Das wird lustig.«
    Meggie spürte ein warmes Leuchten in ihrer Brust. Sie stellte sich vor, wie es wäre, Tori bei sich zu haben, in all den verschlafenen Nestern, auf all den langen Autofahrten,bei all ihren Abenteuern in zweifelhaften Stadtvierteln. Aber Tori hatte eine romantische Vorstellung vom Leben auf Reisen, und Meggie kannte die Wahrheit: Es war schmutzig und schwierig und zum Verrücktwerden einsam. Wenn Tori einwilligte, Meggie von Stadt zu Stadt und von Bundesstaat zu Bundesstaat zu folgen, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich streiten würden – und Meggie war es lieber, Tori bliebe mit guten Erinnerungen an sie in Tarrytown zurück, als bei ihr zu sein und sie irgendwann nur noch dafür zu hassen, dass sie sie von Cocksackle nach Kalamazoo schleifte.
    Außerdem wusste sie nicht, wie sie Tori oder irgendjemand anderem von der Suche nach ihrer Mutter erzählen sollte.
    »Ich glaube, das würde nicht gutgehen«, meinte Meggie.
    »Wieso nicht?«
    »Ich glaube es einfach.«
    »Du verdammte Rebellin.« Tori drehte den Kopf nach vorn und setzte ihre Flasche an den Mund. Das Glas fing den Schein der Straßenlaterne ein. »Du hättest als Cowboy zur Welt kommen sollen. Vielleicht auch als Hausierer. Oder wie nennt man noch mal die Leute vom Jahrmarkt? Als Schausteller.«
    »Die Arbeit in diesem Zirkus war nichts für mich«, erwiderte Meggie. »Affen sehen zwar niedlich aus, aber das sind richtig fiese Kerle.«
    Tori warf ihr einen Blick zu.
    »Das war ein Scherz«, erklärte Meggie.
    Tori lachte halbherzig.
    »Affen sind eigentlich total nett«, fügte Meggie trocken hinzu.
    Tori verdrehte die Augen.
    Irgendwo über den vorspringenden Schienbeinen der Palisades jagte ein Geschwader Kanadagänse über den dunklen Himmel. Meggie konnte die Vögel nicht sehen;nur ihre schrillen Schreie waren zu hören. Mariah, die zu den Menschen gehörte, die sich Dinge wie Kräuterbündel und heilige Steine aufschwatzen ließen, sagte immer, wenn man eine Kanadagans sah, bedeutete das, dass man zum Ausgangspunkt zurückgekehrt war – dass man sich an einem Neuanfang innerhalb eines alten Kreislaufes befand. Meggie war nie so gutgläubig wie Mariah gewesen, so bereit, zu glauben, ohne zu hinterfragen. Doch auch Meggie glaubte an Zeichen – nicht an den Teesatz in Porzellantassen, an Pennystücke, die mit der Kopfseite nach oben landeten, oder an die Wahrsagekraft von Löwenzahn. Aber sie glaubte an Kristallisationspunkte, an Manifestationen, die man nur bemerkte, weil ein Wunsch, den man bereits hegte, einen darauf stieß. Ein Mensch mochte täglich Millionen vielsagender Dinge sehen; sein Geist suchte sich jedoch nur diejenigen heraus, die ihm als

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