Die Wuensche meiner Schwestern
in ihrem Herzen an der Stelle spürte, wo ihre Mutter gewesen war und vielleicht, wenn sie Glück hatte, wieder sein könnte. Das Gefühl des Verlusts trieb sie immer weiter, manchmal in blinder Trauer, manchmal in verzweifeltem Optimismus, und Meggie hatte bisweilen das Gefühl, es sei ihr Schicksal, dem Horizont hinterherzujagen.
Als sie ihren Bericht beendete, merkte sie, dass ihre Schwestern weinten.
»Sie hat etwas Selbstgestricktes zurückgelassen?«, fragte Aubrey.
»Sie hat einen Senator zur Schnecke gemacht?«, wollte Bitty wissen.
Meggie nickte. »Soweit ich weiß.« Sie blickte erst ihrer einen, dann ihrer anderen Schwester ins Gesicht und sah Lilas Augen in Bittys, erkannte Lilas Kinn unter Aubreys Mund. Ihre Schwestern machten den Eindruck, als wären sie einer bedeutenden Gewissheit beraubt worden. Aubreys blaue Augen flackerten wie ein Stromkabel, das mit einer Pfütze in Berührung kam. Bitty weinte nicht, doch Meggie erkannte an ihrem Gesichtsausdruck, wie sehrsie litt. Und Meggie begriff zum ersten Mal: All die einsamen Jahre hatte sie mit der Suche nach Lila verbracht, aber vielleicht, nur vielleicht, hatte Meggie sie längst gefunden – sosehr Lila eben gefunden werden konnte. Und vielleicht hatte sie die Möglichkeit, auch ihren Schwestern ihre Mutter zurückzugeben. Sie stand langsam auf und ging durch den Turm.
»Hier draußen ist es ganz schön kalt«, bemerkte sie.
Ihre Schwestern rückten zur Seite und hoben eine Ecke der Decke an. Aubrey sagte: »Für einen mehr ist immer Platz.« Und als Meggie sich setzte und den Rand des Quilts eng um sich wickelte, wurde sie von der Höhle aus Wärme umhüllt, die ihre Schwestern geschaffen hatten, und sie fühlte sich roh und weinerlich und war unendlich froh, dass sie nicht gegangen war.
»Ich habe mein Notizbuch dabei«, meinte sie. »Ich kann euch alles zeigen, was ich gefunden habe.«
»Das wäre wundervoll«, sagte Bitty. »Wir würden uns sehr freuen.«
»Bereust du es?«, fragte Aubrey. »Dass du so viel Zeit mit Suchen verbracht hast?«
»Nein«, antwortete Meggie bestimmt. »Überhaupt nicht.« Und sie verstand, dass sie Lila nicht verraten würde, wenn sie die Suche nun endlich aufgab. Denn auch wenn sie noch nicht viel über sich selbst wusste, war ihr doch klar, dass ihr Platz hier, bei ihren Schwestern, war. Die winzige Möglichkeit, der Erinnerung an ihre Mutter gerecht zu werden, verblasste gegenüber der absoluten Gewissheit, das Richtige für ihre Schwestern zu tun, die hier waren, die sie nicht verlassen hatten, die sie liebten und ganz zweifellos am Leben waren.
Meggie zog die Decke noch ein Stückchen höher. »Ich hätte nicht gehen sollen, ohne euch einzuweihen, und … ich hätte nicht versuchen sollen, es wieder zu tun.«
»Schon in Ordnung«, sagte Aubrey.
»Lasst uns damit aufhören«, meinte Bitty. »Mit dem Streiten und Nicht-miteinander-Reden. Keine Diskussionen mehr über die Strickerei oder die Magie oder irgendetwas anderes.«
»Einverstanden«, sagte Aubrey.
»Aubrey, ich weiß, dass du in der Strickerei bleiben willst«, sagte Meggie. Sie drückte die Hand ihrer Schwester. »Und wenn du das willst, dann ist es für mich in Ordnung. Ich werde dich nicht mehr drängen, das Haus zu verkaufen. Es ist dein Zuhause. Unser Zuhause. Das Zuhause unserer Familie. Ich will nicht, dass es verschwindet.«
»Danke«, sagte Aubrey. Doch Meggie fragte sich, ob sie nicht irgendetwas in den Augen ihrer Schwester aufblitzen sah. »Und ihr könnt übrigens auch hierbleiben, solange ihr wollt. Alle beide.«
»Danke«, erwiderte Meggie. »Ich werde darüber nachdenken.«
»Was ist mit dir?«, wandte Aubrey sich an Bitty. »Wir haben noch nicht über deine … Lage gesprochen. Ich glaube, in der Strickerei zu bleiben könnte eine gute Idee sein.«
»Ich lasse es mir durch den Kopf gehen«, sagte Bitty.
»Können wir vielleicht woanders weitermachen?«, warf Meggie ein. »Ich erfriere nämlich echt bald. Und dass ich pinkeln muss, macht die Sache nicht besser.«
»Das wird in der Kälte immer viel schlimmer«, lachte Bitty. »Ich schätze, sie werden uns schon rauslassen, wenn wir fest genug gegen die Tür hämmern.«
»Bekommt Nessa Ärger?«, wollte Meggie wissen.
»Na, ein bisschen schon«, meinte Bitty. »Und noch viel mehr, wenn sie uns nicht rauslassen sollte.«
»Schon okay«, meldete sich Aubrey. »Ich weiß, wie wir hier rauskommen.«
»Ernsthaft?«, fragte Bitty.
»Wie – aus dem Fenster?«, rief
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