Die Wuensche meiner Schwestern
Meggie.
Aubrey schüttelte den Kopf. Sie sprang auf die Füße, schlängelte sich durch den Raum und rückte ein großes Gemälde beiseite, hinter dem eine grobe, schmale Tür zum Vorschein kam.
»Willst du mich verarschen?«, fragte Meggie.
»Ist das ein Geheimgang?«, wollte Bitty wissen. Sie standen beide auf und folgten Aubrey.
»Genau. Er führt auf den Dachboden.«
»Du wusstest die ganze Zeit, dass es einen Weg hier raus gibt, und hast uns nichts davon gesagt?«, fragte Bitty.
Aubrey lächelte. »Die Strickerei birgt nach wie vor einige Geheimnisse.«
Kapitel 18
Füge zusammen
Wäre Tappan Square tatsächlich noch ein richtiger Platz gewesen, hätte sich Vics Haus, von der Strickerei aus gesehen, direkt auf der anderen Seite des Rasens befunden. Doch durch die baulichen Veränderungen in der Mitte des letzten Jahrhunderts stand es nun ein paar Häuserblocks entfernt. Er hatte es als renovierungsbedürftig bezeichnet, andere hätten Bruchbude dazu gesagt. Aubrey fand es perfekt: Sie liebte die robuste Struktur des Hauses, seine Hülle aus fleckiger, sonnengebleichter Farbe. Vic führte sie von Raum zu Raum, die Treppen hinauf und hinab, und sie merkte, mit wie viel Stolz und Herzklopfen er ihr seine neuen Schränke, die selbstverlegten Stromkabel und seine abgeschliffenen Böden präsentierte. Er nahm sie sogar mit in den Teil des Zweifamilienhauses, den seine Schwester bewohnte, die gerade nicht zu Hause war. Er hatte schon immer davon geträumt, ein eigenes Haus zu besitzen, was seinen zugewanderten Eltern versagt geblieben war. Wie viel Arbeit er in dieses Zuhause gesteckt hatte, dachte Aubrey. Sie durften Tappan Square einfach nicht verlieren.
Nun, an einem Mittwochabend in der dritten Oktoberwoche, stand sie in Vics kleinem, noch nicht fertigrenoviertem Badezimmer. Das Licht darin war grünlich und trübe, und die Wände waren mit einem verblassten orangefarbenen Blumenmuster versehen – Überbleibseleines Vorbesitzers. Sie begutachtete sich selbst im Spiegelschränkchen. Ihr Haar war dank Nessa in lockeren kleinen Löckchen und Kringeln hochgesteckt. Sie hatte wieder die Sonnenbrille aufgesetzt, und ihre Kleidung zeugte von ihrem Versuch, sexy zu wirken: Sie trug ein marineblaues Baumwollkleidchen mit winzigen weißen Kamelien darauf. Unglücklicherweise war das Kleid für die Sommersonne und nicht für feuchte Oktoberabende gemacht, und sie musste sein enganliegendes Oberteil mit den Spaghettiträgern unter einer schlabbrigen schwarzen Strickjacke verstecken. Sie zog sie von ihren Schultern, und die Reibung der Wolle auf ihrer Haut ließ sie erzittern, wenn auch nicht vor Kälte.
Tage waren vergangen, seit Vic sie auf der Veranda geküsst hatte, und seitdem war das Verlangen nach ihm nicht mehr verflogen. Es war da, wenn sie morgens aufwachte, sich unter der Bettdecke ausstreckte und ihr Körper sich geradezu wund anfühlte und vor Begehren zusammenkrümmte. Es war da, wenn sie unter der Dusche nach dem Shampoo griff, wenn sie sich anzog, wenn ihre Konzentration von ihren Aufgaben in der Bibliothek abwanderte und sie sich Träumereien von seinem herrlichen Mund und seiner Haut hingab. Und es war auch in diesem Moment bei ihr, wie schon den ganzen Abend. Jedes Lachen, jede zufällige Berührung ihrer Hände, jeder Blick war wie eine Brise Sauerstoff, die heiße Kohlen auflodern ließ. Aubrey wusste nicht, wie lange sie es noch aushalten würde.
Sie zog an der Kette des Badezimmerlichts, um es auszuschalten. Dann stieß sie die Tür auf. Vic wartete in seinem winzigen Wohnzimmer auf sie. Er war mitten im Zimmer stehengeblieben, als wüsste er nicht recht, was er mit sich anfangen sollte. Sie hatte sich die Strickjacke über den Arm gelegt, ihre Brüste wurden in ihrem Kleid nach oben gedrückt, und sie hob das Kinn. Ihre Augen weiteten sich.
»Hi«, sagte sie.
Auf dem abgewetzten Couchtisch standen zwei Gläser mit Eistee, doch er bot ihr keines davon an. Sein Blick war ernst. »Aubrey …«
Sie legte die Jacke ab.
Er strich ihr über die Arme. Sie neigte den Kopf. Sie wartete darauf, dass er sie küsste; sie wollte, dass er sie küsste – zugleich hatte sie das Gefühl, sie würde verbrennen. Doch er regte sich nicht. »Brauchst du die zum Sehen?«
»Meine Brille? Oh. Eigentlich nicht.«
»Es ist nicht besonders hell hier drin«, fügte er hinzu. Er nahm ihr die Bügel mit beiden Händen von den Ohren. Anstatt ihn anzusehen, schloss sie die Augen. Sie war besorgt, dass er sie
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