Die Wuensche meiner Schwestern
seit der Highschool Toris treuer Streitwagen, der keine Eile zu haben schien, ins nächste Automobilleben hinüberzuwechseln. Das Armaturenbrett unter der schmutzigen Windschutzscheibe war übersät mit Aufklebern von Toris Lieblingsbands.
»Wohin sollen wir fahren?«, fragte Tori.
»Ich weiß nicht«, antwortete Meggie. »Ich wollte eigentlich nur reden.«
Tori drehte die Heizung an, doch aus dem Gebläse kam nur kalte Luft. »Dachte ich mir. Ich meine – wieso bist du überhaupt noch hier? Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, dass du gekommen bist und mich vom Rest meinerSchicht erlöst hast. Aber ich dachte, du wolltest längst unterwegs sein.«
Meggie lehnte sich im Sitz zurück. »Ich glaube, ich muss dir etwas erzählen.«
»Über …?«
»Darüber, wo ich wirklich gesteckt habe.«
Tori wandte ihr das Gesicht zu. »Ich wusste doch, dass du etwas verheimlichst. Das war mir die ganze Zeit klar. Du arbeitest als Spionin, oder? Bist du eine Spionin?«
»Nein«, wehrte Meggie ab und musste lachen. »Keine Spionin.« Sie blickte auf die Fäustlinge in ihrem Schoß. Und erstaunlicherweise fand sie es auf einmal gar nicht schwer, die Worte auszusprechen, die ihr vor ihren Schwestern kaum über die Lippen gekommen waren. Als sie einmal mit ihrer Geschichte begonnen hatte, strömte sie nur so aus ihr heraus. Tori hörte schweigend zu. Als Meggie fertig war, ergriff sie ihre Hand.
»Es tut mir leid, dass du das tun musstest und all die Jahre diese Last ganz allein mit dir herumgetragen hast«, sagte sie.
»Schon in Ordnung. Ich tue mir selbst nicht leid oder so. Es war meine Entscheidung.« Sie drehte an der Lüftung; im Auto wurde es langsam warm. »Was ich nicht verstehe … was ich einfach nicht begreife …« Aus irgendeinem Grund brachte sie den Satz nicht zu Ende. Ihr Hals schnürte sich über ihren Worten zu.
»Was?«, fragte Tori sanft.
»Ich verstehe einfach nicht, wieso … wieso ich mich nicht besser fühle.« Sie wischte sich übers Gesicht, bevor die Tränen hinunterrollen konnten. »Ich meine, ich trage es ja nun nicht mehr allein mit mir herum. Warum lastet mir dann mehr als zuvor dieses Gewicht auf dem Herzen?«
»Hast du viele Erinnerungen an deine Mutter?«, fragte Tori.
»Ein paar«, meinte Meggie, obwohl sie sich eigentlich nur an sehr wenig erinnerte. Sie wusste noch, dass Lilas roter Lippenstift grell von ihrer Haut abstach. Sie erinnerte sich daran, wie ihre Mutter im Schlafanzug auf der Veranda rauchte, während Meggie ein Puzzle legte. Doch all diese Erinnerungen waren bruchstückhaft.
»Du vermisst sie bestimmt«, stellte Tori fest.
Meggies Hals schnürte sich noch enger zusammen. »Das tue ich. Ich vermisse sie. Aber wie kann man jemanden vermissen, den man kaum gekannt hat?«
»Es spielt keine Rolle, wie«, erklärte Tori. »Es ist einfach so.« Sie zog Meggie an sich.
Meggie leistete keinen Widerstand. Sie ließ den Kopf in Toris bauschigen Daunenmantel sinken und weinte. »Tut mir leid«, schluchzte sie.
»Braucht es nicht«, sagte Tori.
»Es ist nur … Ich habe so lange nach ihr gesucht, und jetzt, wo ich die Suche aufgegeben habe, ist es … ist es …«
»Du musst sie einfach gehen lassen.«
Meggie war normalerweise nicht so nah am Wasser gebaut. Sie weinte so gut wie nie. Aber jetzt heulte sie ganz offen und jämmerlich und konnte gar nicht mehr damit aufhören. Sie weinte um ihre Mutter, die sie erneut verloren hatte. Sie weinte, weil sie so sonderbar erleichtert darüber war, nicht mehr weiter nach ihr suchen zu müssen. Sie weinte über all die einsam verbrachten Jahre. Und sie weinte aus Dankbarkeit darüber, zurück zu sein, den Kreis vollendet zu haben.
Die Glocken der koreanischen Kirche um die Ecke läuteten ein Uhr – ein langgezogener einzelner Ton, der durch das Tal hallte. Als Meggie den Kopf hob, sah sie, dass sie einen feuchten Fleck auf Toris Mantel hinterlassen hatte. »Entschuldige. Ich zahle dir die Reinigung.«
»Ein paar Tränen sind noch das Harmloseste, was dieser Mantel mitgemacht hat«, erwiderte Tori. »Und wir beidehaben auch schon Schlimmeres erlebt.« Sie wühlte im Handschuhfach und zog ein paar zerknitterte Taschentücher hervor, die sie Meggie reichte.
»Sind die für mich oder für den Mantel?«, fragte Meggie lachend.
»Für dich, Doofkopf.«
»Danke«, sagte Meggie und putzte sich die Nase.
»Also, was bedeutet das jetzt? Bleibst du noch eine Weile hier?«, wollte Tori wissen.
Die Nacht draußen vor der gesprenkelten
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