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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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Fenster und Türen wurden vernagelt, Häuser zum Abriss freigegeben. Die Nachbarn von gegenüber, die nie mit den Van Rippers befreundet gewesen waren, hatten ihre Sachen gepackt, darunter auch das runde, blau-weiße Amulett zur Abwehr des bösen Blicks, das an ihrer Haustür hing. Der alte Mr. Hussein hatte zwar immer behauptet, er werde niemals verkaufen und sich eher vor die Planierraupen werfen, wenn jemand käme, um sein Haus abzureißen.Doch auch er hatte das Geld genommen, das die Stadt ihm anbot, und sich dafür einen Wohnwagen in Florida gekauft. Die Nachbarschaft löste sich Familie für Familie auf.
    »Es ist einfach unfair«, brummte Aubrey an einem ungewöhnlich warmen Tag Anfang Dezember. Sie und ihre Schwestern waren nachmittags Gyros essen gegangen, hatten jedoch wie üblich keinen freien Platz im Imbiss gefunden und bibberten daher auf den kalten Metallstühlen auf dem Bürgersteig davor. Aubreys Haar war fettig, und unter ihren nun ganz gewöhnlichen, langweiligen Augen zeigten sich blaue Ränder. Auf dem Tisch vor ihnen lag der Immobilienteil der Zeitung, der wie ein Segel im Wind flatterte und von einem Handy beschwert wurde.
    »Ich wünschte, du würdest einfach mal mit ihm reden«, erwiderte Bitty. »Ihm alles erklären. Trau dem Mann ruhig etwas zu; ich bin mir sicher, dass er es verstehen würde.«
    »Ich habe gar nicht an Vic gedacht«, erklärte Aubrey.
    »Vielleicht solltest du das aber«, meinte Bitty.
    Aubrey seufzte. Sie hatten schon so oft darüber gesprochen. Bitty und Meggie wollten, dass sie zu Vic ging und die Sache mit ihm wieder geraderückte. Aber selbst wenn die Strickerei Aubrey den Rücken gekehrt haben mochte, konnte sie sich nicht überwinden, das Gleiche zu tun. Regeln waren Regeln: Opfer konnten unter keinen Umständen rückgängig gemacht werden, auch nicht, wenn ein Zauber versagte. Wäre Mariah nicht eingeäschert worden, hätte sie sich im Grab umgedreht, wenn sie erfahren müsste, dass Aubrey es auch nur in Erwägung zog, sich Vic vor die Füße zu werfen und um Gnade zu bitten. Denn tatsächlich hatte Aubrey schon oft daran gedacht. Sie wollte Vic zurückhaben. Sie wollte zu ihm gehen und vor seinem Haus niederknien. Sie wollte, dass er sie wieder ansah, als wäre sie ein lebendiges, atmendes Wunder – und nicht die Frau, die ihm einen Dolchstoß versetzt hatte. Sie wollte seinen Ring tragen, im Zirkus, in Gruselfilmen und aufBeerdigungen mit ihm Händchen halten, und wenn sie alt waren, wollte sie ihn im Rollstuhl über die Bürgersteige von Tappan Square schieben.
    Niemand konnte sie davon abhalten, zu ihm zu gehen. Die Strickerei hatte sie im Stich gelassen – weshalb sollte sie nicht dasselbe tun? Aber sowenig sie die Vorstellung, ihr Opfer zurückzufordern, in Ruhe ließ, so sicher wusste sie, dass sie es nicht konnte. Sie war zu gut gedrillt. Zu loyal gegenüber Mariahs Lehren. Nur erschien ihr mittlerweile gar nichts mehr gewiss.
    »Sag ihm, dass es ein Fehler war«, drängte Bitty sie.
    »Es war kein Fehler. Ich wusste zu dem Zeitpunkt genau, was ich tat.«
    Bitty sprach mit vor Verärgerung rauer Stimme: »Hältst du es nicht für ein wenig selbstgefällig, zu glauben, das hier«, sie wies mit der Hand auf die Zeitung, um auf den Verlust der Strickerei und die sich daraus ergebende Zwangslage anzuspielen, »hätte nur etwas mit dir allein zu tun?«
    »Natürlich geht es dabei nicht nur um mich«, protestierte Aubrey.
    »Und was ist mit Vic? Geht es um ihn? Es scheint nämlich bei der ganzen Sache absolut nicht um seine Sicht der Dinge zu gehen.«
    »Es geht weder um ihn noch um mich. Oder um ihn und mich. Es geht um die Strickerei und ihre Traditionen.«
    »Ich glaube, ich weiß, was Bitty sagen will«, mischte Meggie sich mit erzwungener Geduld ein. »Sie meint, dass du dich verhältst, als ginge es beim Verlust der Strickerei um dich, um uns, um Tappan Square. Als wüsstest du, worum es geht. Dabei hat doch niemand von uns Einblick in das große Ganze.«
    Aubrey lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Bislang war ihre einzige Erklärung für den missratenen Strickzauber gewesen, dass sie es vermasselt hatte. Vielleicht hätte sieetwas anders machen können. Vielleicht war es eine kräftezehrende Ablenkung gewesen, die Frauen mit sich stricken zu lassen. Vielleicht hätte sie noch mehr aufgeben sollen als Vic; vielleicht hätte sie ein anderes Opfer darbringen können. Vielleicht hätte sie die Frauen, die sich in jener Nacht mit ihr zusammengetan hatten, um

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