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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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vorigen Abend in der Feuerwache aufgetaucht war – und Aubrey nicht den Fehler begangenhatte, sich selbst als Anführerin von Tappan Watch vorzuschlagen.
    Sie warf einen vorsichtigen Blick auf Bitty, die offensichtlich in keiner Weise an der Strickerei oder an Tappan Square hing. Aubrey versuchte, sich Widerlegungen und Angriffe, hieb- und stichfeste Argumente der moralischen Entrüstung zurechtzulegen, die ihrer Schwester einen Dämpfer versetzen würden. Doch die einzige Entgegnung, die sie zustande brachte, war: »Aber … die Strickerei …?«
    »Die Leute brauchen Jobs dringender als einen Kurzwarenladen«, meinte Bitty.
    »Sie ist mehr als nur ein Kurzwarenladen«, protestierte Aubrey.
    Meggie richtete die Zinken ihrer Gabel auf Bitty: »Die Leute brauchen Jobs aber nicht dringender als ein Dach über dem Kopf, das sie vor Wind und Wetter schützt.«
    »Sie kriegen bessere Dächer, wenn sie bessere Jobs haben«, erwiderte diese. »Kannst du dich nicht mehr daran erinnern, wie wir jahrelang bei jedem Regen Eimer in den Flur stellen mussten?«
    Aubrey rückte ihren Stuhl vom Tisch. Sie konnte nicht sprechen, so als hätte sie eine Faust verschluckt. Ohne Erklärung floh sie aus der Küche, ignorierte die verwirrten Fragen ihrer Schwestern und deren Rufe, sie solle warten, marschierte den Flur hinunter, trampelte die Treppen hinauf und fühlte sich dabei wie eine Fünfzehnjährige, die gerade einen Wutanfall hat. Doch sie konnte es nicht ertragen, ihren Schwestern auch nur einen Moment länger in die Augen zu sehen. Sie schloss ihre Schlafzimmertür hinter sich, warf sich mit schwerem Atem aufs Bett und presste sich die Hände auf die Augen.
    Dieses Haus ist wichtig, hatte Mariah gesagt, und ihre Stimme klang in Aubreys Erinnerung wie eine sanfte Melodie. Sie hatten damals mit einer Limonade auf der Schaukel auf der Veranda gesessen. Es war zwei Wochennach Meggies Verschwinden, und sie begannen gerade, sich zu fragen – sich bewusst zu machen –, ob Meggie womöglich nicht zurückkommen würde. Mariah hatte gewusst, dass Aubrey litt; und sie hatte genau die richtigen Worte gefunden: Es ist wichtig, denn solange die Strickerei da ist, habt ihr drei immer einen Ort, an dem ihr zusammenkommen könnt. Einen Ort, für den ihr keine Einladung braucht, an dem keine von euch je eine Fremde sein wird. Solange sie da ist – ob ihr nun alle darin lebt oder auf verschiedene Kontinente verteilt seid –, wird die Strickerei euer Treffpunkt sein, euer Fallschirm, euer Zuhause.
    Damals hatten die Worte Aubrey getröstet. Sie setzte all ihre Hoffnungen in die Strickerei, so dass jeder Stein, jeder Nagel und jedes Dielenbrett zu einem Schutzwall gegen das Undenkbare wurde. Solange sie in der Strickerei blieb, würden ihre Schwestern immer wissen, wo Aubrey war. Und jeden Augenblick konnten sie den Weg zurück finden.
    Seitdem waren Jahre vergangen. Ihre Schwestern waren nicht zurückgekehrt – erst als Mariah tot war. Und sie waren nur gekommen, um Aubrey mitzuteilen, sie solle die Strickerei so schnell wie möglich verkaufen. Mariah hatte geglaubt, die Strickerei sei der Stern ihrer Familie, ein Zeichen, dem man in der Dunkelheit folgen konnte. Aubrey erkannte nun, dass die Strickerei für ihre Schwestern kein Zuhause war, sondern womöglich genau das, was sie davon abhielt, sich ein eigenes Zuhause zu schaffen. Erst wenn sie die Strickerei los waren, konnten sie einen Schritt vorangehen.
    Sie vergrub das Gesicht in ihrem Kissen. Vielleicht hatten ihre Schwestern recht. Hier befanden sich zu viele Erinnerungen, jede einzelne konnte durch einen einzigen Funken zu einem Großbrand werden. Es gab zu viele offene Fragen. Nach ihrer Mutter, die verschwunden und nie wieder zurückgekehrt war. Die Frage nach dem Wahnsinn, der Schande und Unheil brachte und drohend wieein Damoklesschwert über ihr hing. Und natürlich war da die Frage nach der Magie. Aubrey glaubte daran, und sie würde diesen Glauben mit in ihr Grab nehmen. Aber manchmal kamen sogar ihr Zweifel.
    Ihr traten die Tränen in die Augen, und sie kämpfte nicht dagegen an.
    Wenn die Strickerei erst einmal aus ihrem Leben verschwunden wäre, ob nun durch eine Abrissbirne zerstört oder mit Verlust verkauft, könnten ihre Schwestern sich wieder auf den Weg machen. Und solange Aubrey nicht nachgab und weiter um die Strickerei kämpfte, obwohl ihre Schwestern sie darum baten, sie loszulassen, verhielt sie sich selbstsüchtig.
    Oder etwa nicht?
    Sie dachte an all ihre

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