Die Wuensche meiner Schwestern
anstrengend war. Erst Jahre später wurde Bitty bewusst, dass Craig vielleicht gar nicht wollte, dass sie ihn verdiente – dass es ihm nur darum ging, sie zu lieben, weil er es konnte. Und sie ihm dafür etwas schuldig war.
Ein kühler Wind wehte vom Tal empor, und Bitty bekam Gänsehaut. Sie fragte sich, was ihr Mann ganz allein tat,während sie hier stand und an ihn dachte. In den letzten Jahren, mit Unterbrechungen schon seit mehr Jahren, als sie zählen konnte, hatte sie sich immer wieder ausgemalt, ihn zu verlassen. Die Trennung übte eine nahezu erotische Anziehung auf sie aus, aufgeladen mit Verlangen, wie das Rauschgefühl beim Sex, bevor es endgültig vorbei war. Doch hier stand sie nun. Immer noch verheiratet. Immer noch gefangen. Der Wind wurde kälter, der Himmel wurde täglich winterlicher, und irgendwo unten in Tappan Square wagte Aubrey ihren eigenen Vorstoß in Sachen Liebe.
Bitty dachte: Ich muss das wiedergutmachen. Sie hätte beim Frühstück freundlicher sein, hätte Aubrey mehr Fragen zu ihrer Verabredung stellen sollen. Sie wollte, dass ihre Schwester glücklich war; Aubreys Lebensqualität war schließlich eines ihrer Hauptargumente für den Verkauf der Strickerei. Doch statt Optimismus zu verbreiten und sie zu ermutigen, hatte Bitty den furchtbaren, gewaltigen Drang verspürt, ihre Schwester an den Schultern zu packen und zu rufen: Rette dich, solange du noch kannst. Das war wohl nicht ganz fair.
Sie zitterte. Die Wolken warfen formlose Schatten auf den Fluss und die Hügel. Seit langem dachte Bitty an Tappan Square nicht mehr als ihre Heimat; doch als sie nun ganz allein auf diesem Hügel stand, schien ihr auch das Haus, in dem sie mit ihrem Mann lebte, nicht ihr Zuhause zu sein.
Sie atmete tief durch und lief schweren Schrittes über den einst verschlafenen Berghang zurück in die Stadt.
* * *
Aubrey starrte in das Halbdunkel ihres kleinen, engen Wandschranks und dachte stumm darüber nach, wie es sein konnte, dass seine Tür weit geöffnet war und dochüberhaupt kein Licht hineinfiel. Wenn sie einen Fuß in den Abgrund setzte, würde womöglich niemand sie je wiedersehen.
Gerade, als sie sich fragte, was Vic wohl sagen würde, wenn sie einfach nackt aufkreuzte, klopfte Bitty an die Tür und trat gleich darauf ins Zimmer. Ihr Haar war noch nass, ihr Gesicht gerötet vom Abrubbeln. An ihren Ohren und ihrem Hals funkelten Diamanten, und die Ringe, die sie trug, schienen genauso Teil ihres Körpers zu sein wie die Finger, an denen sie saßen. »Störe ich?«
»Nein«, erwiderte Aubrey, die nicht unhöflich sein wollte. »Wie war dein Lauf?«
»Gut. In dieser Stadt gibt es ein paar ganz ordentliche Steigungen.«
Bitty setzte sich auf Aubreys Bett und rieb sich das Haar mit einem Handtuch trocken. Aubrey warf einen Blick auf sie und versuchte, sich die Frage zu verkneifen, die ihr auf der Zungenspitze lag: Willst du irgendetwas Bestimmtes? Ihre Schwester war hier, in ihrem Zimmer, und wirkte doch meilenweit entfernt.
»Hör zu«, begann Bitty. Aubrey hatte im selben Augenblick angesetzt, etwas zu sagen.
»Oh.« Bitty senkte den Blick. »Fang ruhig an.«
Und das tat Aubrey. Sie war gereizt und verärgert, seit ihre Schwestern verkündet hatten, dass sie der Strickerei gegenüber keinerlei Verbundenheit verspürten. Und so umkreiste sie nicht wie üblich behutsam das Thema, bis dessen Umrisse sichtbar wurden, sondern platzte einfach damit heraus: »Nessa hat die Opfergaben gefunden.« Das Echo ihrer Worte hallte im Raum wider wie ein lauter Gong.
Bitty schwieg.
»Und das ist noch nicht alles.« Aubrey stellte sich am Fußende des Bettes vor Bitty auf. »Sie hat mich gebeten, ihr Stricken beizubringen.«
»Hast du es getan?«
»Ja«, antwortete Aubrey und hob das Kinn. »Das habe ich. Sie hat das Recht, es zu erfahren.«
»Sie hat das Recht, was zu erfahren? Wie man strickt? Oder wie man Zauber strickt?«
»Beides«, erwiderte Aubrey.
Bitty sah sie finster an. Und Aubreys Mut, ihr kurzer Anflug von Streitlust, begann zu verblassen. Sie lehnte sich gegen den Rahmen des Wandschranks. »Hör zu. Ich weiß, dass du gerade eine Menge durchmachst. Das Stricken … ich habe damit keine bestimmte Absicht verfolgt. Ich dachte nur, es könnte Nessa ein wenig Trost spenden. Also, ja – ich habe ihr mit dem Anfang geholfen. Sie hätte Mariah sehr stolz gemacht.«
Bitty wrang ihr Haar unter dem Handtuch. »Solange sie nichts von der Zauberei erfährt, ist das wohl in Ordnung.«
»Ich
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