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Die Wuensche meiner Schwestern

Die Wuensche meiner Schwestern

Titel: Die Wuensche meiner Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa van Allen
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ihr, wie jene an den Ozeanen zog und deren Wellen formte, so dass sie das Stricken manchmal liebte und manchmal hasste. Und dann fragte sie sich im selben Atemzug, ob die Strickerei nicht doch einfach nur ein Haus wie jedes andere war und ob vielmehr ihr eigenes Temperament dem Mond glich – zunehmend und abnehmend und sich von einer Phase in die nächste bewegend; ob die Strickerei sich gar nicht veränderte, sondern bloß Meggie.
    Sie legte die mitternachtsblaue Wolle beiseite und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
    Letzte Nacht hatte Tori mit all der Tiefgründigkeit und Bedeutungsschwere, die nur die Trunkenheit zum Vorschein bringt, zu ihr gesagt: Ich weiß nicht, wovor du wegrennst. Aber vor etwas wegzurennen lässt es nicht verschwinden.
    Nun, im Licht des Morgens, das so dünn und kalt war wie das Glas, durch das es hereinströmte, wusste Meggie, dass sie weiterziehen musste. Sie rannte nicht weg, ganz und gar nicht. Sie war auf der Suche, und die Suche musste weitergehen. Wenn sie hin und wieder das Gefühl überkam, ihre Suche sei vergeblich, las sie in ihrem Tagebuch, in dem sie jeden winzigen Fetzen eines Hinweises auf ihre Mutter festhielt. Es war voller Polaroids, flüchtiger Notizen und aufgeklebter Landkarten. Meggie hatte ihr Tagebuch schon so oft durchblättert, dass sie es beinahe auswendig kannte. Manche der Aufzeichnungen sagten ihr allerdings nichts mehr, da sie sich nicht daran erinnern konnte, weshalb sie sie einst aufgeschrieben hatte.

    Wer ist Lucy M. in Piscataway?
    Pleasant Acres, Pflegeheim. Denver.
    Sie mochte Cashewnüsse. Saratoga Railway – Kellnerin in Pub und Grillrestaurant? Glücksspiel?
    Die Hinweise, die sie fand – manchmal nicht mehr als ein hingekritzeltes LVR war hier an einer Toilettentür –, erinnerten sie daran, dass es gut möglich war, dass ihre Mutter noch lebte. Lila war eine Streunerin gewesen; sie konnte einfach fortgegangen sein. Vielleicht war sie auf Weltreise. Oder vielleicht hatte sie auch einfach vergessen, wer sie war – falls der Wahnsinn von ihr Besitz ergriffenhatte –, und brauchte jemanden, der sie zurück nach Hause brachte.
    Unglücklicherweise war die Spur erkaltet. Auf ihrem Weg zurück zur Strickerei, als sie die Kilometer vorbeiziehen und die Herbstblätter immer bunter werden sah, hatte Meggie gehofft, dass die Heimkehr sie auf neue Ideen bringen würde, auf neue Hinweise, denen sie folgen konnte. Sie hatte gehofft, dass sie ihre Mutter zumindest irgendwie spüren, ihr in der Strickerei ein wenig näherkommen würde.
    Doch nichts davon war eingetreten. Sie versicherte sich: Es würde ihr nicht schwerfallen, Tarrytown zu verlassen. Ihr Herz folgte ihr, wohin sie auch ging, und hinterließ stets eine Spur aus Brotkrumen, einen Pfad von einer Stadt in die nächste, den sie nie zurückverfolgen würde. Fortgehen war etwas, worin sie gut war, etwas, das sie tun konnte. Sie brauchte nur an Tori zu denken oder an die Strickerei oder an all die Männer, die ihr begegnet waren und bei denen sie stets gedacht hatte: Vielleicht … Und zugleich: Ich sollte gehen.
    Und dennoch, als sie nun in der Strickstube stand, die Erinnerungen ihr die Kehle zuschnürten und sie Bitty in der Küche mit Nessa sprechen und Eier aufschlagen hörte, wusste Meggie, dass sie etwas verpassen würde, wenn sie jetzt ging – und sie hasste es, außen vor zu sein. In den ersten paar Jahren ihres Lebens hatte man ihr ständig erklärt, sie sei »zu klein« für all die Dinge, die Aubrey und Bitty tun durften, und sie mochte das Gefühl des Ausgegrenztseins damals genauso wenig wie heute.
    Solange Bitty in der Strickerei war, konnte es wohl nicht schaden, wenn auch Meggie noch blieb. Die Suche nach ihrer Mutter brannte ihr nach wie vor auf den Fingernägeln, doch die Spur schien kälter zu werden. Sie würde noch eine Weile bleiben, und sie würde stricken. Etwas für Tori. Ein Geschenk für ihre Freundin – vielleicht ihreeinzige Freundin, wenn sie ehrlich zu sich war –, damit diese sich immer an sie erinnern würde.
    Und wenn das Zeichen kam, dass sie ihre Suche wiederaufnehmen sollte, dann würde sie sich erneut auf den Weg machen.
    * * *
    Aubrey und Carson betraten die Küche mit von der Morgenluft geröteten Wangen. Der Rest der Familie hatte sich bereits zum Frühstück eingefunden. Bitty stand am Herd und drehte die Pfannkuchen schwungvoll mit einem silbernen Pfannenwender. Meggie lümmelte mit einer Decke in Schoko-, Kürbis- und Sahnefarbtönen über den

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