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Die Würde der Toten (German Edition)

Die Würde der Toten (German Edition)

Titel: Die Würde der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Pons
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Einen verdammt großen. Und der machte das, was er nun tun musste, noch viel schlimmer. Gedankenverloren streichelte er noch einmal über Mephistos Rücken. Der Traum war vorbei.

* * *

    Sie drehte sich nicht um, als er leise die Tür des Versorgungsraums öffnete. Auf dem Tisch lag eine nackte männliche Leiche. Adrian näherte sich langsam. Kaum merklich straffte Henry die Schultern. Er blieb neben ihr stehen und erkannte betroffen den chancenlosen Kokser, der Sonntagnacht in den Ring gestiegen war. Schlagartig begriff er.
    »Ist das … Jürgen?«
    Henry nickte schweigend.
    »Du weißt, dass du Beweise vernichtest, wenn du jetzt weitermachst.«
    »Ich muss das tun, Adrian. Ich bin ihm das schuldig. Ihm und seinen Eltern.«
    Er nahm ihr behutsam die Schere ab. »Henry, tu das nicht«, bat er mit belegter Stimme.
    »Ich will ihn nur waschen, vorbereiten. Und ich werde alle Beweise sichern.« Sie deutete auf zahllose kleine Tütchen, die sie bereitgelegt hatte. Daneben ein Block, auf dem bereits der genaue Zeitpunkt notiert war, zu dem sie Jürgen aufgefunden hatte, inklusive seiner Körpertemperatur, der Ausprägung der Leichenflecken und dem Status der Leichenstarre. Darunter, mit dem Datum von heute, eine Auflistung aller augenfälligen Besonderheiten, sowie der Arbeiten, die sie nun vorzunehmen gedachte. »Außerdem bist du jetzt als Zeuge anwesend.«
    »Das zählt nicht. Man wird mich für befangen erklären.«
    »Dort oben ist eine Überwachungskamera installiert.« Henry hob die Hand und wies zur Lüftung in der Decke. »Sie wird jeden meiner Handgriffe festhalten. Außerdem habe ich Aufnahmen aus der Nacht, in der sie Jürgen hier abgelegt haben. Die Kamera läuft seit Samstagmorgen. Ich habe vom ersten Verdacht an, dass hier was Illegales läuft, alles aufgeschrieben und Fotos gemacht. Aber ich konnte dir nicht alles sagen, du bist schließlich Polizist. Und diese Leute sind verdammt gefährlich, auch für dich. Die wussten, wer du bist! Ich hatte gehofft, sie lassen Jürgen frei, wenn ich mache, was sie verlangen, aber ich hab es versaut. Wenn ich mit Jürgen fertig bin, werde ich dir alles geben, was ich gegen Westermann habe. Aber zwing mich nicht dazu, ihn schon wieder im Stich zu lassen.«
    Erst jetzt schaute sie in Adrians Gesicht. In ihren Augen war keine Spur von Angst, nur eine schreckliche Traurigkeit, die ihm die Kehle zuschnürte. Wie hätte er ihr jetzt sagen können, dass Jürgens Tod womöglich seine Schuld war? Dass er dort gewesen war, vor dem Kampf. Dass er nicht eingegriffen hatte. Und was er sonst noch getan hatte.
    »Du musst mich verhaften lassen, wenn du willst, dass ich aufhöre.«
    Er nickte verhalten, gab ihr die Schere zurück und hielt ihr ein Plastiktütchen hin. »Fang mit der rechten Hand an.«
    »Geh jetzt, Adrian. Ich will nicht, dass du Ärger kriegst.«
    Adrian bewegte sich nicht. »Den krieg ich sowieso.«
    »Ruf deine Kollegen an und verschwinde aus dem Kamerabereich!«
    Er öffnete den Mund zu einer Erwiderung, überlegte es sich dann aber anders und machte einige Schritte zur Seite, bis er direkt unter dem Lüftungsgitter stand. Vielleicht war es seine letzte Chance, die Wahrheit von ihr selbst zu erfahren.
    »Was weißt du über das, was hier vor sich geht?«
    Henry antwortete nicht gleich, schnitt einen Fingernagel nach dem anderen und tütete sie einzeln ein, zusammen mit den Schmutzpartikeln, die sie darunter fand. Vier der Nägel waren soweit abgekaut, dass es nichts zu schneiden gab, die Nagelbetten entzündet, die Haut tief eingerissen.
    Adrian drängte sie nicht. Ihr unaufhörliches Blinzeln setzte ihm zu. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, getröstet und weggeschafft. Weit weg. Egal wohin.
    »Er wollte expandieren«, begann sie zögernd. »Er war ein Träumer, aber seine Idee war anfangs richtig gut, und ich habe mit ihm geplant und versucht, seinen Vater zu überzeugen.« Sie hielt inne und streichelte versonnen über Jürgens blutverschmierte Wange.
    »Als Moosi bereit war, haben wir die Herren von der Bank zu bequatschen versucht. So ein kleines Unternehmen braucht immer eine gewisse Kreditlinie, um für verschiedene Leistungen in Vorlage treten zu können. Manchmal dauert es ganz schön lange, bis die Hinterbliebenen zahlen. Da hängen Versicherungen drin, Anwälte, zerstrittene Angehörige und so weiter. Darum hat die Bank nicht ganz so viel rausgerückt, wie Jürgen gern gehabt hätte. Es reichte für die ersten Schritte und wir begannen,

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