Die Würfel Gottes
imon kippte sich ein weiteres Glas Stoli hinter die Binde. Er saß im Wohnzimmer eines bescheidenen Hauses in Knoxville, das Richard Chan und Scott Krinsky gehörte, zwei früheren Studenten Professor Guptas. Während Gupta das Telefon in ihrer Küche benutzte, goss Richard ängstlich Wodka in Simons Glas, und Scott bot ihm ein ekelhaftes Thunfisch-Sandwich an. Zunächst hatte Simon angenommen, dass die beiden Männer ein schwules Pärchen wären, aber nach seinem zweiten Drink begriff er, dass hier etwas Ungewöhnlicheres am Werk war. Richard und Scott waren Physiker am Oak Ridge National Laboratory, wo sie sich dem Bau von Ausrüstungsgegenständen zur Erzeugung hochintensiver Protonenstrahlen widmeten. Sie waren blass, schlaksig, jungenhaft und bebrillt, und sie behandelten Professor Gupta mit einer Ehrerbietung, die ans Fanatische grenzte. Positiv kam noch hinzu, dass sie ganz und gar nicht überrascht waren, als Simon und Gupta vor ihrer Haustür auftauchten. Die beiden jungen Physiker waren eindeutig Mitverschwörer, die von Gupta vor langer Zeit rekrutiert worden waren. Obwohl sie nicht sehr furchterregend aussahen, erkannte Simon in ihnen die wesentliche Qualität eines guten Soldaten: Sie würden alles tun, was ihr Anführer befahl. Ihre Hingabe an die Sache war genauso absolut wie die eines heiligen Kriegers.
Sobald Simon sein leeres Glas auf dem Beistelltisch abgesetzt hatte, sprang Richard auf und füllte es wieder. Nicht schlecht, dachte Simon, während er sich in seinem Sessel zurücklehnte.
An diese Art zu leben konnte man sich gewöhnen. »Dann arbeitet ihr Herren also an der Strahlführung, korrekt? Überwacht die Protonen, während sie in dem Teilchenbeschleuniger ihre Runden drehen?«
Die beiden nickten, aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Offensichtlich war den beiden nicht allzu wohl bei dem Gedanken, mit einem russischen Söldner zu plaudern. »Das muss ein komplizierter Job sein«, fuhr Simon fort. »Dafür zu sorgen, dass all die Teilchen richtig anvisiert werden. Die idealen Bedingungen für den Zusammenprall bestimmen. Einige seltsame Dinge können passieren, wenn die Protonen gegeneinander knallen, nicht?«
Richard und Scott warfen sich einen Blick zu. Ihren Mienen war eine gewisse Überraschung und auch ein bisschen Verwirrung abzulesen. Sie fragten sich wahrscheinlich, wie dieser gedungene Killer an seine Kenntnisse der Teilchenphysik geraten war. »Ja, sehr seltsam«, ergänzte Simon. »Und vielleicht sehr nützlich. Wenn man eine einheitliche Theorie hätte, die exakt festlegt, wie man die Teilchenkollisionen arrangiert, könnte man einige interessante Wirkungen erzielen, nicht wahr?«
Jetzt stand Besorgnis in ihren Augen. Richard ließ fast die Flasche Stolichnaya fallen. »Es tut … es tut mir leid«, stotterte er. »Ich verstehe nicht, wovon Sie da …«
»Keine Sorge.« Simon lachte leise in sich hinein. »Ihr Professor hat mich ins Vertrauen gezogen. Ganz zu Beginn des Einsatzes hat er mir alles über die möglichen Anwendungen der Einheitlichen Feldtheorie erzählt. Andernfalls hätte ich nicht gewusst, welche Informationen ich aus den Assistenten des Herrn Doktor herauskitzeln musste.«
Trotz dieser Beteuerung blieben die beiden Physiker beunruhigt. Richard packte die Stoli-Flasche so fest, dass seine Fingerknöchel weiß hervortraten, und Scott rieb die Handflächen gegeneinander. Vielleicht wollten sie nichts Genaues
über die Methoden wissen, die ihr geschätzter Anführer einsetzte.
In diesem Moment beendete Gupta sein Telefongespräch und kam wieder ins Wohnzimmer. Richard und Scott wandten ihm gleichzeitig den Kopf zu wie zwei folgsame Irische Setter, die die Augen auf ihr Herrchen richten. Der Professor belohnte sie mit einem freundlichen Lächeln, bevor er mit dem Finger auf Simon zeigte. »Kommen Sie mit. Wir müssen etwas besprechen.«
Simon wartete ein paar Augenblicke, um klarzumachen, dass er kein Schoßhündchen war. Dann erhob er sich aus seinem Sessel und folgte Gupta in die Küche. Es war eine hässliche, beengte Nische mit durchhängenden Regalen und Wandschränken. »War das Brock am Telefon?«, wollte Simon wissen.
Der Professor nickte. »Er hat Swifts Frau und seinen Sohn. Jetzt fährt er so schnell er kann nach Süden. Die beiden könnten sich als nützliches Tauschobjekt erweisen.«
»Damit setzen Sie voraus, dass Swift die einheitliche Theorie hat. Das wissen wir aber nicht mit Sicherheit.«
»Natürlich hat er die Theorie. Reden Sie nicht so
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