Die Würfel Gottes
Sir!«, erwiderte Larry und packte David unter den Achselhöhlen. Und zusammen eilten sie die Treppe zu Gleis zehn hinunter und in den Ein-Uhr-dreißig-Zug nach Metuchen.
Simon saß an einem alten Schreibtisch in einer der grotesk überteuerten Suiten im Waldorf-Astoria. Das Hotel stellte einem zweitausend Dollar pro Nacht für einen stickigen Salon mit Fenster auf die Park Avenue und ein Schlafzimmer in Rechnung, das wie ein Bordell aus der Zarenzeit eingerichtet
war. Simon war so erfolgreich, dass er sich das leisten konnte, aber er weigerte sich aus Prinzip zu bezahlen; stattdessen hatte er sich eine Kreditkartennummer aus einer der undichten Rohrleitungen des Internets gemopst. Ein ahnungsloser Bewohner Oregons namens Neil Davison bezahlte jetzt Simons Aufenthalt im Waldorf sowie für den Lammrücken und den halben Liter Stolichnaya, die er beim Zimmerservice bestellt hatte.
Während Simon noch ein Glas Wodka hinunterkippte, starrte er auf den Bildschirm seines Laptops, auf dem die Webseite des Physikseminars der Columbia University zu sehen war. Praktischerweise enthielt die Liste der Mitglieder des Lehrkörpers Farbfotos aller Professoren, aller Dozenten und Assistenten. Simon scrollte langsam nach unten und musterte jedes Gesicht. Die Annahme, dass es sich bei Kleinmans Komplizen um einen Physikprofessor handelte, schien auf der Hand zu liegen. Die Einheitliche Feldtheorie wäre ganz bestimmt für einen Laien zu kompliziert; man würde vermutlich umfassende Grundkenntnisse in der Relativitätstheorie und in Quantenmechanik benötigen, um auch nur mathematische Terme in den revidierten Feldgleichungen zu erkennen. Und dennoch sah Simon den Mann in den Freizeitschuhen nirgendwo auf der Webseite des Physikalischen Seminars. Er überprüfte zur Sicherheit noch die entsprechenden Listen des wissenschaftlichen Personals an zwanzig anderen Universitäten mit berühmten Physikalischen Abteilungen – Harvard, Princeton, MIT, Stanford und so weiter -, fand aber dennoch keinen Hinweis auf sein Opfer in den Fotogalerien lächelnder Wissenschaftler. Nach einer Stunde klappte er den Laptop zu und warf die leere Flasche Stoli in den Papierkorb. Es war nicht zu fassen. Er brauchte nur den Namen des Mannes.
Um sich zu beruhigen, ging Simon zum Fenster und starrte auf die Lichter an der Park Avenue. Selbst um zwei Uhr
morgens bewegte sich ein steter Strom von Taxis über die Straße. Während er den Yellow Cabs dabei zusah, wie sie sich in eine gute Position zu drängeln versuchten, fragte sich Simon, ob er irgendwas übersehen hatte, irgendein Detail aus Professor Kleinmans Leben, das die Identität seines Kollegen offenbarte. Vielleicht war der Mann ein Neffe oder Patensohn des Physikers, vielleicht sogar das uneheliche Kind aus einer längst verflossenen Affäre. Simon ging zum Schrank, öffnete seinen Matchbeutel und holte das Buch heraus, das er benutzt hatte, um Kleinman aufzuspüren. Es war ein dickes Buch, mehr als fünfhundert Seiten, vollgepackt mit nützlichen Informationen über all die Physiker, die Albert Einstein in den letzten Jahren seines Lebens assistiert hatten. Es hieß Auf den Schultern von Riesen.
Als Simon das Buch aufschlug, erhaschte er einen Blick auf etwas, das ihm bekannt vorkam. Er nahm sich die Innenseite des hinteren Schutzumschlags vor. Direkt unterhalb eines überschwänglichen Klappentexts aus dem Library Journal war ein Foto des Autors.
Simon lächelte. »Hallo, David Swift«, sagte er laut. »Schön, Sie kennenzulernen.«
FÜNF
T rotz aller Bitten von Larry, Pete und den anderen Junggesellen blieb David standhaft und stieg an der Haltestelle Metuchen nicht aus. Er sagte, seine Frau würde ihn umbringen, wenn er nicht direkt nach Hause käme, versprach aber, sich mit seinen neuen Freunden an einem anderen Abend in der Lucky Lounge zu treffen. Die ganze betrunkene Mannschaft klatschte ihm gegen die erhobene Hand, als sie ausstiegen und sangen »Phil! Phil! Phil! Phil!«. David nahm ihr Gejohle mit hoch gestrecktem Daumen zur Kenntnis und sank dann erschöpft auf seinen Platz zurück.
Als der Zug den Bahnhof verließ, begann David zu schaudern. Die Klimaanlage schien das Abteil unerträglich kalt zu machen. Er schlang sich die Arme um die Brust und rieb sich die Schultern, um sich zu wärmen, aber er hörte einfach nicht auf zu zittern. Er erkannte, was mit ihm los war: Er hatte eine posttraumatische Stressreaktion, die verzögerte Antwort seines Körpers auf all die erschreckenden
Weitere Kostenlose Bücher