Die Wundärztin
keinen mehr interessieren. Dann gilt es, andere Verluste zu bewältigen und Wunden zu lecken.« Dass dies nicht sonderlich überzeugend klang, wusste sie allerdings selbst.
»Was ist mit Rupprecht? Vertraust du ihm?« Wieder wollte er sich aufrichten, ließ es dann allerdings doch bleiben. Sie senkte den Blick und hoffte, dass er nicht bemerkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieß.
»Das ist es nicht wert, Magdalena.« Erneut griff er nach ihrer Hand und drückte sie. »Das Risiko ist viel zu groß«, begann er noch einmal. »Es kann doch auch ganz anders kommen. Stell dir vor, das Unwetter wird schlimmer, die Schweden bleiben stecken oder verlangsamen ihren Vormarsch, weil die Hessen, die sich bestimmt wieder mit ihnen verbündet haben, nicht auftauchen. Dann gibt es keinen Kampf und keinen Aufruhr im Lager, in deren Schutz die Flucht unbemerkt bleibt. Stattdessen hat Seume ausreichend Zeit, nach mir zu suchen und uns alle an den Galgen zu bringen. Du kennst ihn: Seine Wut wird durch das ungeduldige Warten auf den Feind wohl eher noch angestachelt, sein Wunsch nach Rache dadurch nur noch größer.«
»Was ist das eigentlich mit dir und Seume? Was hast du ihm getan, dass er dich so spektakulär am Galgen baumeln sehen will?« Sie rüttelte ihn an der Schulter und ließ erst von ihm ab, als ihr bewusst wurde, dass seine Wunden dadurch wieder aufreißen konnten. »Eric, bitte! Sag mir endlich die ganze Wahrheit.« Sie verlegte sich aufs Flehen, wurde jedoch gleich wieder lauter, so sehr brachte sie sein Schweigen auf: »Wie übel hast du ihn übers Ohr gehauen? Ihr beide kocht da wohl ein ganz besonderes Süppchen miteinander aus.«
Ihrem eindringlichen Blick konnte er nicht mehr standhalten. Er wandte den Kopf ab, sah ins Leere und stöhnte leise. Seine Lippen wurden hell, sein Gesicht blass. Ihre Wut verwandelte sich in Sorge. Sacht strich sie ihm über das Haar. »Was es auch ist, eines Tages musst du mit mir darüber reden. Versprich mir das. Ruh dich noch ein wenig aus. Wenn Rupprecht kommt, musst du bereit sein. Wir müssen dich fortbringen.«
Suchend tastete er nach ihrer Hand, drückte sie und sprach mit brüchiger Stimme: »Danke, Magdalena, aber lass es jetzt gut sein. Zu fliehen hat keinen Sinn. Ich liebe dich, bis in alle Ewigkeit. Dass du mir helfen willst, ist mehr als genug. Pass gut auf dich und unsere Tochter auf. Vielleicht erzählst du ihr eines Tages mal von mir.«
Die letzten Worte gingen in einem halb unterdrückten Schluchzen unter. Hastig drehte er das Gesicht weg, doch Magdalena hatte bereits gesehen, wie tränennass seine Wangen schimmerten.
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18
Um sie herum war es gespenstisch ruhig geworden. Der Regen hatte nachgelassen, das Gewitter grollte in weiter Ferne. Hin und wieder zuckte ein schwacher Blitz über den Himmel, dem erst spät ein leichtes Dröhnen folgte. Das Unwetter war vorbei.
Doch da zerriss ein neuer Donner die Stille. Magdalena stutzte. So schnell konnte das Gewitter nicht zur ursprünglichen Stärke zurückgefunden haben. Erst durch Erics schreckgeweitete Augen wurde ihr klar, dass der Lärm eine andere Ursache haben musste. Im selben Moment fuhr der Wind ins Zelt, blähte das ölgetränkte Leinen auf. Das letzte Talglicht erlosch. Magdalena fluchte. Noch einmal knallte es. Ein Musketenschuss! Ganz nahe. Ihr Puls raste. Ihre Finger umklammerten den Bernstein, ihre Lippen formten ein lautloses Gebet. Voller Furcht starrte sie zum Eingang. Hatte sie es nicht geahnt? Das Verschwinden Meister Johanns und das Wegbleiben Rupprechts hätten Warnung genug sein müssen. Nun war sie ganz allein mit Eric, schutzlos allem Unheil ausgeliefert. Die nächsten Wagen und Zelte aus dem Tross standen zu weit weg, als dass sie von dort Beistand erhoffen konnte. Sie betastete ihre Hüfte. Das Messer steckte noch im Bund. Eine andere Waffe hatte sie nicht.
Ein weiteres Mal donnerte es, allerdings nicht aus einer Muskete. Dazu schepperte es zu sehr. Magdalena blinzelte in die Dunkelheit. Das einfallende Mondlicht bot ihr Orientierung. Die Zeltbahnen wehten haltlos im Wind, zwei umgefallene Blechkübel rollten hin und her. Seumes Steckenknechte standen im Eingang und traten mit den Stiefelspitzen immer wieder gegen die Eimer, als handelte es sich um lästige Fliegen, die sie verscheuchen wollten.
»Wo ist der Hundsfott?« Der größere der beiden trat einen Schritt näher. Das fahle Mondlicht verwandelte ihn in einen riesigen, schwarzen Schatten ohne Gesicht. Von seiner Hutkrempe
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