Die Wundärztin
doch gut ausgeht.«
»Du glaubst nicht daran, oder?«
»Geht es hier ums Glauben?«
17
Sobald Meister Johann die Zeltplane öffnete, klatschte ihm der heftige Regen ins Gesicht. Obwohl er sich beeilte, hinauszugelangen und den Eingang rasch wieder zu verschließen, fuhr eine neuerliche Windböe unter die Zeltplane. Ein Talglicht auf dem kleinen Tisch erlosch. Ätzender Qualm breitete sich im Zeltinnern aus.
»Magdalena!« Leise hörte sie Erics Rufen. Seine linke Hand tastete nach ihrem Oberschenkel, rüttelte leicht daran.
Bevor sie es verhindern konnte, richtete er sich auf. Eine Weile schloss er die Augen, biss sich auf die Lippen und atmete langsam. Dann kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Was ist?«, raunte sie. Seine tiefblauen Augen musterten sie aufmerksam, als wollten sie sich jede Regung ihrer Miene ins Gedächtnis einbrennen.
»Nimm den Bernstein. Wenn nicht für dich«, fügte er fast atemlos hinzu, als sie widersprechen wollte, »dann für Carlotta. Eine Erinnerung an ihren Vater sollte ihr bleiben.«
Durch eine knappe Kinnbewegung deutete er an, wo unter seinem Hemd der Stein steckte. Selbst konnte er ihn nicht herausholen, weil er sich mit beiden Armen abstützen musste. Ihre Hand zitterte. Sie zögerte. Ihre Blicke verweilten abermals ineinander. Noch immer zog sie dieser tiefgründige Blick aus den blauen Augen in Bann. Gegen ihre Liebe war sie machtlos. Er war der Mann ihres Lebens. Nichts machte die glücklichen Wochen in Freiburg ungeschehen. Auch die bösen Verwicklungen, in die Eric sich seither verstrickt haben mochte, änderten nichts daran. Allein für die Liebe zu ihm tat sie das, was in dieser Nacht hoffentlich erfolgreich vonstattenging: ihn vor dem Galgen zu bewahren. Ob sie ihre Liebe jemals leben konnten, wagte sie nicht zu hoffen. Wenigstens aber musste sie ihrem Kind nicht eingestehen, die einzige Chance, seinen Vater zu retten, nicht genutzt zu haben.
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Vorsichtig zog sie den Bernstein aus dem Verband und legte sich die Schnur um den Hals. Wie gewohnt verbarg sie den honiggelben Stein zwischen der Falte ihrer Brüste.
»Danke!«, presste er mühsam hervor und sank zurück auf die Matte. Unter halbgeschlossenen Lidern ruhte sein Blick weiterhin auf ihr. Um seine Mundwinkel zuckte es, eine Ahnung des vertrauten Lächelns lag auf seinen Zügen. Einen Augenblick schien es, als wäre die Zeit zurückgedreht und sie lägen wieder auf dem Heuboden in Freiburg, nur für sich und ihre Liebe lebend. Da schnappte Eric nach Luft. Das rasche Auf und Ab seines Brustkorbs verriet, wie sehr ihn das Aufrichten angestrengt hatte.
»Still«, mahnte sie und strich ihm mit den Fingerkuppen über die Wangen. Die rotblonden Bartstoppeln kratzten. Besorgt dachte sie daran, welche Anstrengungen ihm in dieser Nacht noch bevorstanden. Sobald Rupprecht auftauchte, würden sie Eric auf einen Karren verfrachten und hinüber zu dem Berg im Westen des Lagers schaffen.
»Carlotta wird noch viel mehr von dir haben als nur diesen Stein. Bald schon werden wir nachkommen. Dann können wir drei endlich miteinander leben.« Sie beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Lippen. Endlich schloss er die Augen und atmete ruhiger.
Meister Johann blieb lange fort. Eric schlief tief, während Magdalena gegen die Müdigkeit ankämpfte. Immer wieder sackte ihr der Kopf auf die Brust, fielen ihr die Augen zu. Abrupt riss sie sie wieder auf und streckte sich. Wo blieben die anderen nur? War ihr Plan aufgeflogen? Die schlimmsten Befürchtungen kamen ihr in den Sinn. Nicht allein Rupprechts merkwürdiges Verhalten im Wagen ging ihr nicht aus dem Kopf. Auch Meister Johann blieb unerklärlich lange weg. Fahrig nestelten ihre Finger am Saum des Mieders herum. Verflucht! Jetzt war auch noch der Knoten an der morschen Lederschnur gerissen und der Bernstein verloren. Kurz nach dem ersten Schreck spürte sie erleichtert die Kälte des Steins, umklammerte ihn. Die Schnur war nicht gerissen, der Stein noch dort, wo er hingehörte: zwischen ihren Brüsten. Im selben Augenblick krachte ein neuerlicher Donner durch die Nacht, eine Sturmböe schlug die Zeltplane hoch, so dass der Regen wieder hereinpeitschte. So schnell sie konnte, kroch sie zum Eingang, um die losen Enden der Plane fest miteinander zu verknoten.
Sie wagte einen Blick nach draußen. Dort schien die Hölle losgebrochen. Taghell flammte der Himmel auf, als sich ein Blitz seinen gezackten Weg auf die Erde suchte.
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