Die Wundärztin
Bedrohliche Wolkengebirge türmten sich am Firmament. Im nächsten Moment versank alles in tiefster Finsternis. Ein neuerliches Getöse zog durch die Nacht. Die ganze Urgewalt Gottes schien sich in der Ebene auszutoben. Der eben noch staubtrockene Boden wurde vom Regen durchpflügt, als sollten in dieser Nacht die Versäumnisse der letzten Monate wettgemacht werden. Wo die ausgedörrte Erde dem Wasser keinen Weg zum Versickern bot, bildeten sich Rinnsale, die im Handumdrehen zu kleinen Wasserläufen anschwollen. Blitz und Donner erfolgten nahezu gleichzeitig. Das wütende Grollen schien kein Ende zu nehmen. Wenigstens der Regen ließ irgendwann wieder nach, ging abermals in ein gleichmäßiges Prasseln über.
Nach einem letzten Blick in die menschenleere Weite, die vom Aufzucken des Blitzes taghell erleuchtet wurde, zog Magdalena sich ins Zelt zurück. So gut es ihr mit der bandagierten linken und der steif gefrorenen rechten Hand möglich war, verknotete sie die Lederschnüre am Eingang. Besorgt wanderte ihr Blick über das leinene Dach. Hie und da wölbte es sich unter der Last des Regenwassers nach innen. Damit nichts durchsickerte, befreite sie die Einbuchtungen von der Nässe, dann erst kauerte sie sich wieder nahe bei Erics Matte im Schein des blakenden Talglichts auf den Boden. Wenn doch nur Meister Johann zurück wäre! Ob er in der Finsternis verunglückt war? Die Latrinen waren ein ganzes Stück weg. Gut möglich, dass der Regen den Boden so aufgeweicht hatte, dass der Feldscher gestolpert und gestürzt war. Doch wie sollte sie ihm helfen, ohne Eric im Stich zu lassen? Abermals unterbrach ein heftiger Donnerschlag ihr Grübeln. Der größere Abstand zum vorausgegangenen Blitz wies auf ein allmähliches Abziehen des Gewitters hin. Bald konnte sie es wagen, aus dem Zelt zu schlüpfen und Ausschau nach Meister Johann zu halten.
»Wir sollten es lieber lassen«, hörte sie auf einmal Erics Stimme neben sich. Überrascht sah sie zu ihm. Er schien schon geraume Zeit wach zu sein. Der Blick war erstaunlich klar und frisch, als er sagte: »Es ist viel zu gefährlich. Ich will nicht, dass ihr euer Leben für mich riskiert. Denk an unser Kind. Was wird aus der Kleinen, wenn wir beide am Galgen hängen? Auch dass Rupprecht und Meister Johann sich opfern, kann ich nicht zulassen. Wenn ich auch weiß, dass sie es nicht mir zuliebe tun.«
»Niemand wird sich opfern, Rupprecht und Meister Johann schon gar nicht.« Dicht kniete sie neben ihm nieder. Eine Spur zu brüsk drehte er den Kopf weg, rang nach einer Erklärung.
»Nein, es geht nicht. Das Auftauchen der Schweden mag das kaiserliche Lager für eine Weile so sehr in Aufruhr versetzen, dass keiner daran denkt, euch ein Haar zu krümmen. Was aber kommt danach? Schlagt ihr Wrangel und seine Mannen, mag der Siegestaumel euch vor Schlimmem bewahren. Wahrscheinlicher aber ist, dass eure Männer viel zu ausgelaugt sind, um den Schweden die Stirn zu bieten. Und dann? Die Rache für die Niederlage wird die Männer blind machen. Sie werden Schuldige brauchen, um den Misserfolg zu erklären. Gnade euch Gott, wenn sie euch dann den schnellen Tod am Galgen zugestehen. Nein«, entschieden schüttelte er den Kopf und fasste nach ihrer Hand, »das werde ich nicht zulassen. Das bin ich nicht wert. Ihr seid diejenigen, deren Leben es zu retten gilt, nicht ich.«
Über den letzten Silben war seine Stimme brüchig geworden und die Kraft aus seinen blauen Augen gewichen. Und doch war sie überrascht, dass er so lange und klar hatte sprechen können, dass sich sein Zustand so grundlegend gebessert hatte. Mit der Erleichterung spürte sie, wie die alte Unsicherheit sich ihrer wieder bemächtigte. Was war in den letzten beiden Jahren geschehen? Deutete er da nicht gerade selbst an, dass er ihren hohen Einsatz nicht wert war? Unsinn! Wütend reckte sie das spitze Kinn und schürzte die schmalen Lippen. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten.
»Mach dir keine Gedanken«, sagte sie und schüttelte entschlossen die roten Locken. »Unser Vorteil ist und bleibt das Anrücken der Schweden. Dadurch gewinnen wir wertvolle Zeit. Solange das Gefecht in Gang ist und die Verwundeten zu versorgen sind, ist jede helfende Hand unverzichtbar, die von erfahrenen Feldschern wie uns erst recht. Auch auf dem Feld wird jeder waffenfähige Mann gebraucht. Keiner wird auf die Idee verfallen, einen Suchtrupp zusammenzustellen, um dich aufzuspüren. Ist die Schlacht erst einmal vorbei, wird dein Verschwinden
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