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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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lebloser Körper fortgetragen. Den Helfern fehlten Kraft und Ansporn, behutsam mit der Leiche umzugehen. Während der eine versuchte, der Leiche das noch unversehrte Hemd abzustreifen, zog der andere den Toten bereits kräftig an den Füßen. Der erste fluchte, weil dabei das Hemd entzweiriss. »Ich hätte es so gut brauchen können«, knurrte er und bemühte sich, wenigstens den Stoff der Hosenbeine unversehrt zu lassen.
    Sie wandte sich wieder zu Franz. Er schlief. Sie prüfte, ob die Ledergurte, die seine Arme an den Tisch banden, fest genug saßen. Dann fühlte sie seine Stirn. Sie war warm, aber nicht erhitzt. Ein gutes Zeichen. Erleichtert sah sie wieder zum Fußende des Tisches und erstarrte. Meister Johann hantierte dort nun doch mit der Knochensäge!
    »Es hat keinen Sinn. Das Bein muss ab«, erklärte er barsch. »Die Kugel steckt zu tief, außerdem ist viel Dreck rundherum. Halt ihn fest, es geht los.«
    Ihr blieb nur, sich quer über Franz’ Oberkörper zu werfen. Im selben Moment bäumte der sich auf und stieß sie zu Boden. Einer der Helfer vom Nachbartisch war geistesgegenwärtig genug, Franz niederzudrücken, bis sie wieder auf den Füßen stand. Zu zweit gelang es ihnen, ihn zu halten, während der Feldscher weitersägte. Bang sah Magdalena zu Meister Johann. Die Lippen fest aufeinandergebissen, die Augen starr auf das verwundete Bein gerichtet, bewegte er die Säge unermüdlich auf und ab. Das rotangelaufene Gesicht verriet nicht die geringste Regung, dabei wusste Magdalena, dass diese Erlebnisse auch an ihm nicht spurlos vorübergingen. Er hatte Franz gewiss auch erkannt, warum sonst hätte er versucht, sein Bein zu retten? Plötzlich hallte ein neuerlicher Aufschrei durch den Raum. Mit einem Ruck schnellte Franz’ Körper abermals in die Höhe. Die Lederriemen an den Handgelenken rissen entzwei, wild schlug er um sich. Endlich sprang auch der Gehilfe von der anderen Seite des Tisches heran und warf sich bäuchlings auf ihn.
    »Verdammt!« Meister Johanns Stimme krächzte. Magdalena versuchte, Franz ein Holzstück zwischen die Zähne zu schieben, aber er warf den Kopf panisch hin und her und brüllte immer lauter. Meister Johann fluchte. Das Leinen am Oberschenkel hatte sich gelöst, eine Blutfontäne schoss in die Luft. Abermals bäumte Franz sich auf. Seine Miene zeigte ungläubiges Staunen. Der eben noch schreiend aufklaffende Mund klappte langsam zu, das viel zu junge Gesicht verzog sich zu einer furchtbaren Fratze. Magdalena legte ihm den Arm um die Schultern und bettete ihn behutsam auf den Tisch zurück. Seinem Mund entstieg ein Röcheln. Er wollte etwas sagen, konnte es aber nicht mehr. Schon rollten seine Augen, brachen. Leblos kippte der Kopf zur Seite. Eine eisige Hand umklammerte Magdalenas Herz. Um sie herum wurde es gespenstisch still. Selbst Meister Johann hatte aufgehört zu fluchen. Als hätten sie sich abgesprochen, bekreuzigten sich die Männer und senkten die Köpfe. Wenigstens dieser armen Seele wollten sie gedenken. Vor ihrer aller Augen trat sie den einsamen Weg ins Jenseits an. Beten konnte Magdalena schon lange nicht mehr, hoffte aber trotzdem, dass irgendwo irgendwer den Toten in Empfang nehmen würde. Sanft strich sie ihm die Augenlider zu, faltete ihm die Hände auf der Brust und rief ihn ein letztes Mal mit seinem Namen an. Wenigstens glitt er so nicht als Unbekannter in die Ewigkeit.
    »Weiter geht’s«, murmelte einer der Helfer und schob sie zur Seite. Flink löste er die Reste der Riemen von Franz’ Handgelenken und zog ihn vom Tisch. Erst wollte Magdalena ihn noch zurückhalten. Das leinene Hemd hätte sie als Verbandsstoff brauchen können, doch der Helfer war zu schnell. Er hatte den Leichnam bereits auf einen Karren gezerrt und aus dem Zelt geschoben.
    »Magst du nicht doch einen Schluck?« Scharfer Branntweingeruch stieg ihr in die Nase. Von hinten legte ihr Meister Johann den Arm um die Schulter. Die Bartstoppeln auf seinem Gesicht kratzten. Gleichwohl tat es gut, seine Wärme zu spüren. Energisch setzte er ihr den Schlauch an die Lippen. »Komm, Mädchen, trink endlich mal einen Schluck. Du siehst ganz danach aus, als könntest du jetzt doch was vertragen.«
    Sie rang mit sich. Es wäre so einfach. Dennoch blieb sie fest und umklammerte den Bernstein, hoffte durch ihn auf neue Kraft. Meister Johann torkelte ans Fußende des Tisches. Noch ein, zwei Stunden, und er würde sich nicht mehr auf den Beinen halten können. Das Blut des eben Verstorbenen klebte

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