Die Wundärztin
Schreien der Söldner wurde heiserer. Am Rand des Schlachtfelds zogen die ersten Geschütze ab. Nach und nach würde die Kavallerie zurückweichen, bis ganz am Ende auch die Infanteristen ihr Gegeneinanderanrennen einstellen durften. Einen Sieger würde die Schlacht wieder nicht haben.
Unschlüssig, ob sie die Suche nach Carlotta und Elsbeth im Getümmel der sich auflösenden Rotten fortsetzen sollte, schlug Magdalena die ersten Schritte ostwärts ein. Dann aber blieb sie doch wieder stehen. Es war sinnlos. Nach ihrem Weggang aus Seumes Zelt hatte Elsbeth bestimmt genug Verstand besessen, sich mit dem Kind nicht ausgerechnet zu den kämpfenden Soldaten zu flüchten. Selbst wenn das Durcheinander am Rand des Schlachtfelds ein unauffälliges Untertauchen erleichtern sollte, lief sie Gefahr, unbeabsichtigt angegriffen zu werden.
Müde wandte Magdalena sich wieder dem Lager zu und stapfte zu den ersten Zeltreihen zurück. Es fiel ihr nichts anderes ein, als ein weiteres Mal die Lagergassen abzugehen, in unzähligen Unterkünften und Verschlägen nach der blonden Elsbeth und ihrer rotblonden Tochter zu fragen. Natürlich war es unmöglich, das gesamte Lager und den Tross mit seinen zigtausend Menschen zu durchkämmen. Elsbeth würde gewiss nicht bei fremden Menschen in einem völlig abseits gelegenen Teil unterkommen. Dazu waren die Menschen im Lager längst zu misstrauisch gegenüber allen Unbekannten. Trotzdem ließ es Magdalena keine Ruhe. Die zwei konnten doch nicht spurlos verschwunden sein!
»Lass es für heute gut sein. Im Dunkeln wirst du sie nicht mehr finden.« Wie aus dem Nichts stand Roswitha vor ihr, seltsamerweise ganz ohne das übliche Poltern, Rumpeln und Stolpern. Der stete Regen hatte ihre wenigen Haarsträhnen auf dem grindigen Schädel angeklebt. Eine Haube band sie sich schon lang nicht mehr um. Das Schultertuch lag regennass auf ihrem breiten Rücken. Aus dem dicken Wollstoff des Rocks tropfte es unablässig. Roswithas Augen inmitten des faltigen Gesichts wirkten noch trüber als sonst. »Lass uns zu Meister Johanns Wagen gehen und uns bei einer heißen Suppe aufwärmen. Vielleicht ist Rupprecht zurück und weiß Neues.«
Gehorsam folgte Magdalena. Die Müdigkeit drohte sie zu übermannen. Ohnehin hatte Roswitha recht: Es war sinnlos, bei Anbruch der Nacht weiterzusuchen.
»Was klappert denn da? Hast du einen Sack Goldstücke dabei?« Die Hebamme griff nach ihrem Arm und zwang sie, stehenzubleiben.
»Ja.« Magdalena versuchte, sich loszureißen und weiterzugehen. Bislang hatte sie keine Idee, wohin sie das Säckchen mit den Goldstücken stecken sollte, wenn nicht in die Falten ihres Leinenrocks. Ungern wollte sie erzählen, wie sie an den Schatz gekommen war. Zu sehr schämte sie sich vor sich selbst, auch wenn sie wusste, dass das Gold, das sie im Auftrag Erics aus Seumes Truhe genommen hatte, ihm nicht rechtmäßig gehörte.
»Hast du es von Seume? Etwa aus Erics Truhe, die er neben sich gestellt hat? Das geschieht dem Halunken recht!« Roswithas Krächzen klang schadenfroh. »Das Gold steht dir zu. Du wirst es für Carlotta brauchen.«
»Dafür müsste ich sie erst wiederfinden!« Wütend drehte Magdalena sich zu Roswitha um. Das geschah so abrupt, dass die Alte in sie hineinstolperte. »Du kannst es gern haben. Hier!« Sie zerrte das schwere Säckchen unter dem Rock hervor und drückte es ihr gegen die Brust. Verwundert nahm Roswitha es entgegen.
»Seume hat sich eure List teuer bezahlen lassen, was? War es sehr schlimm?« Mitleidig hob Roswitha die Hand, um ihre Wange zu berühren. Magdalena senkte den Blick. Ihre Schultern bebten. Viel zu deutlich hatte sie das Erlebte wieder vor Augen.
»Es war nicht so, wie du denkst. Hagen Seume und seine beiden Männer haben die Gelegenheit zwar nutzen und über mich herfallen wollen«, sagte sie schließlich. »Dabei hat es sie nicht einmal gestört, dass der stinkende Leichnam mitten im Zelt lag. Seume ist sogar trotz seiner Verbände vom Lager aufgestanden.« Angewidert schloss sie die Augen. Bei der Erinnerung an die eisigen Männerhände auf ihrer nackten Haut überlief sie ein Schauer. »Ein Kerl wäre schon übel gewesen, aber alle drei waren nicht auszuhalten. Also habe ich mich mit aller Kraft gegen Seume geworfen. Davon ist er nach hinten gestürzt, mit dem Kopf hart auf dem Boden aufgeschlagen und besinnungslos liegen geblieben. Der eine Steckenknecht hat sich daraufhin sogleich besorgt über ihn gebeugt. Dem habe ich von hinten einen
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