Die Wundärztin
die Weisheiten seiner Bücher im Kopf habe. Dabei war Eric derjenige, der nichts kannte als seine Geschäfte und seine geliebte Magdalena. Wenn er doch nur annähernd so viel Phantasie besäße wie Doktor Mattes, welche Welt stünde ihm da offen! Nicht im Entferntesten hatte er eine Vorstellung davon, welche Schriften das waren, in die sein gelehrter Freund so emsig die Nase versenkte. Sie hegte inzwischen den Verdacht, darin ginge es nicht um ferne Himmelskörper, sondern um genau die irdischen Freuden, die er ihr des Nachts so meisterhaft bereitete. Wenn er in seiner sonstigen Wissenschaft ähnlich kundig war wie auf dem Gebiet der körperlichen Liebe, dann musste er ein famoser Gelehrter sein.
Allein bei dem Gedanken, wie zärtlich seine Finger über ihre nackte Haut streichelten, wie schaurig wohl sie sich dabei auf dem Laken rekelte, spürte sie die Röte glühend heiß ins Gesicht steigen. Anders als der gewalttätige Seume oder der ungestüme Strecker legte er viel Wert auf das beiderseitige Auskosten der Wonnen. Stets achtete er darauf, ihr ausreichend Zeit zu lassen, ihm auf seine Reise in das Land der Zärtlichkeiten folgen zu können.
Nicht weniger erwartungsvoll als er zupfte sie sich den Ausschnitt ihres Mieders zurecht und öffnete die obersten beiden Knöpfe, als sie im Halbdunkel des Flurs das begierige Funkeln seiner Augen hinter den kleinen, runden Brillengläsern bemerkte. Einladend die Hüften wiegend, sah sie ihm entgegen, wie er langsam die Treppe herunterstieg.
»Schade, dass deine Zeit in meinem Haus so abrupt endet«, krächzte er.
»Noch bleibt uns eine ganze Nacht.« Keck küsste sie ihn auf die Wange. Sein Kopf reichte ihr gerade bis zur Schulter, geschickt überspielte sie den Größenunterschied und hakte sich bei ihm unter. Arm in Arm tänzelten sie hinüber in die Kammer neben der Küche, die er ihr und Carlotta bei der Ankunft vor mehr als vier Wochen zugewiesen hatte.
»Lass uns diese Nacht auskosten, meine Liebe, als wäre es die letzte, die uns beiden für alle Zeiten zur Verfügung steht.« Auf wundersame Weise veränderte sich seine krächzende Altmännerstimme in ein jubilierendes Flöten, sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte. Zärtliche Koseworte wie »Täubchen«, »Blondes Engelchen« oder »Duftende Rose« flogen ihr entgegen, während seine Fingerkuppen sanft wie Schmetterlingsflügel über ihre Wangen huschten. Behutsam führte er sie zum Bett, hieß sie, sich niederzulegen, und begann gemächlich, sie zu entkleiden. Bei jedem Knopf, den er am Mieder öffnete, hauchte er einen Kuss auf ihre Brust, arbeitete sich langsam nach unten vor und endete schließlich mit einem sanften Nasenstüber gegen ihren Bauchnabel. Den Rock rollte er über ihre Knie nach unten, nicht ohne dabei ihre Oberschenkel ausführlich mit den Wangen zu liebkosen und die Lippen an den Innenseiten bis hinunter zu den Zehenspitzen entlanggleiten zu lassen.
Schon bebte sie am ganzen Leib, wand sich ihm hungrig nach weiteren Berührungen auf dem Laken entgegen. Lächelnd entzog er sich ihr und trat in die Mitte des Raumes. Bevor er seinen verschossenen roten Hausmantel ablegte, zog er die Vorhänge vor das kleine Fenster zum Hof und entzündete eine Kerze. Aus den Untiefen seiner Manteltaschen fingerte er ein Pulver, dessen grobe Körner er in die Flamme rieseln ließ. Begierig sog Elsbeth den schweren Moschusduft ein. Noch während sie tief ein- und ausatmete, war ihr, als verwandelte sich die enge Kammer in eine weite, rotglühende Höhle. Doktor Mattes’ hageres Gesicht verlor seine tiefen Furchen, die Falten glätteten sich. Die dunklen Augen hinter der Brille leuchteten. Bedächtig beugte er sich über sie, nicht mehr der spinnenartige, dürre, alte Mann, sondern ein wohlgebauter, schlanker Jüngling. Auf sanften Wogen schwebte sie mit ihm davon in einen Traum von unendlicher Lust und hoffte, dass der nie enden würde.
8
Die angenehmen Sommertage waren Vergangenheit. Wolken bedeckten den Himmel, erst dicke, weiße, bis sie mehr und mehr zu grauschwarzen Ungetümen wurden. Lästige Mücken schwirrten umher und plagten nicht nur die Arbeiter auf den Feldern und in den Weinbergen.
Vom drohenden Wetterumschwung kündeten auch die schlechter werdenden Sichtverhältnisse im Refektorium lange, bevor der Regen tatsächlich kam. Obwohl auf beiden Längsseiten Fenster in die dicken Sandsteinmauern eingelassen waren, drang statt des hellen Tageslichts nun graudüstere Gewitterstimmung
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