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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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herein. Weil sich die Sonne kaum mehr zwischen den Wolken hervordrängte, fehlte es bald nicht nur an Licht. Der langgestreckte Raum kühlte auch schnell aus. Ein weiteres Zeichen, dass der August den Einzug des Herbstes einläuten würde, ein Monat früher, als der Kalender es bestimmte. In den letzten Kriegsjahren waren die ausgedehnten, warmen Sommer, die man früher in diesen Gefilden kannte, selten geworden. Offenbar lebte das Wetter wie die Menschen in tiefem Unfrieden mit der gegenwärtigen Zeit.
    Die Folgen waren verheerend: Nicht allein die Regimenter und ihr Gefolge, sondern auch das zu kalte, nasse Wetter sorgte für schlechte Ernten und verwüstete mit sintflutartigen Regenfällen das Land. Das Einzige, was unter diesen Bedingungen gedieh, war der Hunger. Lediglich im Süden, wo Kurfürst Maximilian das Zepter schwang, so hieß es, gäbe es in diesen Wochen ausreichend Nahrung für die hungrigen Söldner und ihren Tross. Auch das Bier fließe dort weiter ungehemmt aus den Fässern direkt in die Bäuche. Kein Wunder, dass die Feldherren aller Lager ihre Truppen dorthin lenkten.
    Magdalena überlegte, ob sie das Feuer im Kamin schüren sollte. Brennholz war inzwischen rar, sein Gebrauch gut zu bedenken. Einige Zeit redete sie sich ein, die unbändige Trauer um Roswitha und die ungestillte Sehnsucht nach ihrem Kind machten sie frösteln. Frierend rieb sie sich die Arme und lief im Refektorium auf und ab. Die Unruhe übertrug sich auf den Kroaten. Das Fieber war zwar nach Abnahme des entzündeten Arms rasch gesunken, dennoch gab sein Zustand weiterhin Anlass zur Sorge. Die kurze Episode beim Hauptmann hatte Magdalena gezeigt, wie wichtig ihm das Wohlergehen des Mannes war.
    Wärme tat dem Patienten sicherlich gut. Also schichtete sie schließlich doch die letzten Holzstücke im Kamin auf, rieb das Zündholz und blies in das Feuer, bis die Flamme groß genug war, es am Brennen zu halten. Der Kroate war der Letzte, der im zum Lazarett umfunktionierten Speisesaal des Klosters gepflegt wurde. Allein seines unbeständigen Befindens wegen blieb der Versehrtenzug noch im Kloster.
    Magdalena kam das nicht ungelegen. Roswithas grausamer Tod unter den Rädern beschäftigte sie sehr. Auch die Ungewissheit, ob Meister Johann das Unglück überlebt hatte, und falls ja, ob sich fortan jemand im Tross um ihn kümmerte, lähmte ihr Denken. Gleichzeitig wälzte sie die verschiedensten Überlegungen, wie es ihr gelingen konnte, Carlotta aufzuspüren. Noch hatte sie keine Idee, wie sie sich aus den Fängen der Schweden befreien und verhindern konnte, mit ihnen bis zum Lech ziehen zu müssen. Denn dass sie dort Carlotta niemals finden würde, war ihr klar. Sich unbemerkt aus dem Kloster zu entfernen und auf eigene Faust die Suche aufzunehmen schien ebenfalls unmöglich. Viel zu gut wachten die Männer des Hauptmanns über jeden Schritt und Tritt. Selbst wenn ihr die Flucht wider Erwarten gelingen sollte, würde sie nicht weit kommen. Im nahen Würzburg hatte sie in den letzten Jahren oft Quartier genommen und lief deshalb auf Schritt und Tritt Gefahr, von jemandem erkannt und an treue Gefolgsleute Seumes verraten zu werden. Außerhalb der Stadt aber konnte sie sich auch nicht wagen. Marodeure und Räuberbanden sowie die erboste Landbevölkerung überfielen jeden, der sich jenseits eines schwerbewaffneten Zuges über Land bewegte. Der Spessart war nah. Im Schutz des undurchdringlichen Waldes regierten seit einigen Jahren die übelsten Banden.
    Trotz des Feuers weiterhin fröstelnd, nahm sie das unstete Umhergehen im Refektorium wieder auf. Der Kroate schlief. Die Wärme und das Prasseln im Kamin hatten ihn eingeschläfert. Stimmen im Klosterhof lenkten ihre Aufmerksamkeit dorthin. Neugierig trat sie an eines der Fenster und sah hinunter. Das dichte Laub der weit ausladenden Linde verdeckte nahezu den gesamten Innenhof. Reiter waren eingetroffen. Der hochgewachsene Hauptmann, um dessen Gunst Rupprecht nach wie vor buhlte, begrüßte sie überschwenglich wie allernächste Verwandte. Gerne hätte sie in Erfahrung gebracht, um wen es sich bei den Besuchern handelte. Längst aber hatte sie sich angewöhnt, das Refektorium nur noch zu verlassen, wenn Rupprecht ihren Posten neben dem armamputierten Freund des Hauptmanns übernehmen konnte. Dem dicken, kleinen Mönch traute sie nicht mehr über den Weg. Wo aber steckte Rupprecht? Ungeduldig spielte sie mit dem Bernstein und wickelte sich die Lederschnur mehrfach um den Finger. Da

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