Die Wundärztin
Tatsächlich schälte sich nach einer Weile seine Silhouette im Halbdunkel heraus. Bald erkannte sie mehr. Ihrem Gefährten rannen die Tränen über die Wangen. Außer sich vor Wut und Enttäuschung kauerte er in der gegenüberliegenden Ecke. Sein Antlitz hatte sich in eine schmerzverzerrte Grimasse verwandelt. Schon wollte sie ihm tröstend den Arm um die Schultern legen, da stieß er sie unsanft zurück und trat ans andere Ende des Verlieses. Sein Gebaren befremdete sie. Wie ein vom Teufel Besessener starrte er wirr in alle Richtungen. Nein, rief sie sich selbst zur Ordnung, das durfte sie nicht denken. Damit gab sie nur dem schwedischen Hauptmann recht, der sie eben beide lauthals als Hexe und Teufelsknecht bezeichnet hatte.
Grübelnd stellte sie sich unter die Maueröffnung. Wollte sie hinaussehen, musste sie sich auf die Zehenspitzen stellen und den Kopf weit nach oben recken. Im Hof schien wieder Ruhe eingekehrt. Die Soldaten hatten sich in die Wirtschaftsräume des Klosters begeben, das Packen der Kisten und Wagen war unterbrochen worden, der geplante Aufbruch fürs Erste verschoben.
Wieder wandte sie sich um. Rupprecht hatte die Stirn an die Wand gelehnt und ließ die Arme kraftlos nach unten hängen. Allein der Anblick des am Boden zerschellten Kroaten konnte ihn nicht derart erschüttert haben. In seinem Trossdasein sowie als Feldschergehilfe hatte er wahrlich Entsetzlicheres erlebt, als dass ihn ein zerschmetterter Schädel oder die zertrümmerten Gliedmaßen eines Menschen noch ernsthaft aus der Fassung bringen konnten. Es musste der Auftritt des schwedischen Hauptmanns gewesen sein, der ihn in so tiefe Verzweiflung gestürzt hatte. Völlig außer sich hatte sich der blonde Schwede über den toten Freund geworfen und niemand anderen mehr herangelassen. Rupprecht hatte ihn dennoch sanft, aber entschieden von dem Leichnam wegführen wollen. Das viele Blut hatte bereits Gesicht, Hände und Lederrock des Hauptmanns besudelt. Außerdem schickte es sich nicht für einen Mann seines Rangs, derart die Fassung zu verlieren, noch dazu in Gegenwart seiner Untergebenen und Gefangenen.
Kaum aber hatte Rupprecht den Schweden am Arm berührt, fuhr der wie vom Blitz getroffen auf und verfluchte ihn. Bis in alle Ewigkeit verdammte er jeden, der in den letzten Wochen mit dem Toten zu tun gehabt hatte. Mehrfach bezichtigte er im Besonderen Magdalena der Hexerei und drohte ihr die schrecklichste Bestrafung an, deren ein Mensch fähig sei. Nur wenige Augenblicke später – und ehe sich einer der Anwesenden recht besinnen konnte – packten bereits zwei Soldaten nach ihr. Während sie sich kratzend, beißend und um sich schlagend zu wehren versuchte, sah sie, dass auch Rupprecht von zwei Bewaffneten geschnappt wurde. Ihr Bemühen war zwecklos. Sie war zu klein und zu schwach, um gegen die Soldaten etwas auszurichten, Rupprecht versuchte es erst gar nicht.
Gemeinsam führte man sie in das Kellerverlies. Hinter ihnen knallte die Tür zu, und der Schlüssel drehte sich dreimal knarrend im Schloss. Gebannt lauschte Magdalena, was draußen geschah. Langsam entfernten sich die knallenden Stiefelschritte und mit ihnen die Stimmen der Soldaten. Gespenstische Ruhe kehrte ein.
Die Augen immer noch starr auf Rupprecht gerichtet, war ihr plötzlich, als befände sie sich mitten in einem bösen Traum. Die Worte des Hauptmanns, mit denen er ihnen im Angesicht des Toten die Verdammnis in der Hölle gewünscht hatte, hallten ihr noch in den Ohren. Gleichzeitig ging ihr der durchdringende Blick des Kroaten nicht aus dem Sinn. Seinen Geruch aus Rosenöl und Schweiß in der Nase, meinte sie den weichen Stoff seines Halstuchs an den Fingerspitzen zu fühlen und war ganz erfüllt von der Traurigkeit, die sie vor kaum mehr als einer Stunde hautnah an ihm erlebt hatte.
»Der Hauptmann will nur seine eigene Schuld verschleiern.« Empört ballte sie die Fäuste. »Der Kroate war mehr für ihn als nur ein einfacher Pferdebursche. Eingestehen aber wollte er sich das bislang nicht. Kein einziges Mal hat er sich herabgelassen, ihn im Refektorium zu besuchen, keine Stunde hat er an seinem Krankenlager gewacht, als es ihm wegen des Fiebers so schlechtging. Kein Wunder, dass ihn nun dieser gewaltige Schmerz überfällt und er aus Scham über sein unverzeihliches Versäumnis seine Wut gegen uns richtet. Sobald er wieder zur Vernunft gekommen ist, wird er uns rauslassen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr!« Rupprecht löste sich aus der Erstarrung und
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