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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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erschrak im selben Moment über das laute Knarren. Wie sie bereits befürchtet hatte, war auch die Zelle gähnend leer. Wieder im Kreuzgang, spähte sie in zwei, drei angrenzende Zellen. Auch dort war niemand.
    Endlich ertönten Schritte im Kreuzgang. Ein mittelgroßer Schatten näherte sich. Erleichtert rannte sie ihm entgegen. »Wo willst du hin?«, herrschte der Soldat sie an, packte sie unsanft am Arm und hielt sie fest. »Rauf mit dir ins Refektorium! Oder brauchst du Hilfe, weil dein letzter Patient gerade gierig beide Hände nach deinen Brüsten ausgestreckt hat?« Dröhnend lachte er über den eigenen Witz. »Dabei kann ich es dir viel besser besorgen als der nutzlose, einarmige Krüppel!«
    Seine riesigen Pranken patschten auf ihren Hintern. Schwer keuchend drängte er sie an die Wand. Magdalena strampelte und trat, kratzte und spuckte, doch er ließ nicht von ihr ab. Erst ein Geräusch im hinteren Teil des Kreuzgangs brachte ihn zur Vernunft. Angesichts der Strafe, die der Hauptmann bei Übergriffen auf Magdalena angedroht hatte, zog er es vor, sie loszulassen, bevor man ihn der Schandtat bezichtigen konnte. Sofort verwandelte sich sein Gesicht in eine undurchdringliche Maske, und er befahl: »Scher dich aus meinen Augen. Geh dahin, wo du hingehörst. Brauchst nicht denken, es fiele mir nicht auf, wenn du dich aus dem Staub machen willst.«
    Froh, seinen Fängen entronnen zu sein, ordnete sie ihr Mieder, wobei sie unauffällig nach dem Stein tastete. Dann stemmte sie beide Hände in die Seiten und sah den Mann eindringlich an: »Wo ist der Hauptmann?« Statt einer Antwort verdrehte der Soldat verärgert die Augen. Gleich fragte sie weiter: »Was seid ihr nur für Angsthasen! Hat das heraufziehende Gewitter deine Kameraden etwa in die Keller gejagt?«
    Als der Soldat noch immer nichts sagte, befahl sie: »Schick Rupprecht oder Ambrosius zu mir. Einen von beiden brauche ich, um meinem Patienten die Naht am Stumpf zu säubern. Nicht dass er sich noch mal den Wundbrand holt. Das wird den Hauptmann gewiss nicht freuen.«
    »Was kümmert ihn noch dieser Krüppel? Pferde satteln oder Waffen putzen wird er kaum noch können. Nicht mal als Küchenjunge taugt er allein mit der linken Hand. Längst hat der Hauptmann einen Ersatz. Richte dem Krüppel aus, dass er nicht mehr gebraucht wird. Er wird dann schon wissen, was er zu tun hat.« Abfällig spie der Mann die Worte aus. Fast schien es, als ergötze er sich an der Vorstellung, der junge Kroate werde dank seiner Verletzung aus dem direkten Umfeld des Hauptmanns verstoßen. Erschrocken über die unverhohlene Schadenfreude, musterte sie ihn von oben bis unten.
    »Sei dankbar für jeden Tag, an dem du noch beide Hände und Füße zur Verfügung hast!«
    Eine energische Drehung genügte ihr, sich seinem Zugriff zu entwinden. Sie reckte den zierlichen Körper, schüttelte die roten Locken nach hinten und warf ihm noch einen missbilligenden Blick aus den smaragdgrünen Augen zu, bevor sie sich abwandte. Bis sie die Tür zum Obergeschoss erreicht hatte, spürte sie seinen Blick in ihrem Rücken.
    Zu ihrer Verwunderung stand die Tür zum Refektorium offen. Sie war sich sicher, sie vorhin hinter sich geschlossen zu haben. Voll böser Vorahnungen beschleunigte sie ihren Schritt.
    Der schmale, lange Saal schien menschenleer. Die Decken auf der Matte des Kroaten waren zerwühlt, der Patient verschwunden. Unwillkürlich sah sie zum mittleren Fenster auf der Westseite. Sperrangelweit stand es offen. Im matten Gegenlicht erkannte sie die zierlichen Umrisse Rupprechts. Wie im Traum drehte er sich um. Seine Augen blickten wirr, sein Gesicht schien zu glühen, das dunkle Haar stand ihm in sämtliche Richtungen vom Kopf. Den Mund hatte er wie im Krampf verzogen. Unfähig, einen Ton herauszubringen, sah er sie mit seinen dunklen Augen stumm an.
    »Wo ist der Kroate?«, brachte sie mühsam heraus und kannte im nächsten Augenblick selbst die Antwort.
    10
    Erst als sie sich in dem dunklen, feuchten Kellerverlies wiederfand, erfasste Magdalena, was nach dem Freitod des Kroaten geschehen war. Gedankenverloren hob sie den Bernstein an die Lippen, wartete jedoch vergeblich darauf, die vertraute Wärme durch den Körper fließen zu spüren.
    Sie zitterte am ganzen Leib. Nicht allein die Kälte in dem engen Verlies ließ sie schaudern. Auch die Erinnerung an das jüngst Geschehene setzte ihr zu.
    Rupprecht hatte es noch schlimmer getroffen. Besorgt sah sie dorthin, wo sie ihn vermutete.

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