Die Wundärztin
spärlich beleuchteten. Als sie gewiss war, die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden zu besitzen, erklärte sie: »Der Ausschlag an ihrem Leib, die Pusteln im Mund – kein Zweifel: Das Weib hat die Franzosenkrankheit!«
15
Der Wald lichtete sich, das Gestrüpp rechts und links der Straße wurde niedriger. Zwischen den Blättern und Ästen war mehr und mehr von der Landschaft jenseits der Bäume zu erkennen: der mäandernde Fluss, die Felder und Wiesen entlang des Ufers. Vereinzelt wehten die Rufe der Schiffer herüber. Endlich trat das Buschwerk so weit zurück, dass die Sicht vollends frei wurde. Türme, Treppengiebel und rotbraune Dächer schälten sich vor den grauweißen Wolkenbergen am Himmel ab. Eine trutzige Steinbrücke mit einem schlanken Turm in der Mitte schwang sich über den Main: Ochsenfurt! Magdalena überlief ein Schauer der Erleichterung. Dort würden sie Station machen, das hatte der schwedische Hauptmann vorhin verkündet, auch wenn sie noch lange nicht ihr Tagespensum erreicht hatten und durch den um fast zwei Tage verspäteten Aufbruch weit hinter Plan lagen.
Magdalena sehnte die Pause inständig herbei. Für sie bedeutete sie eine Unterbrechung der Qualen, die sie auf der Reise litt. Ihr Gesicht verzerrte sich vor Schmerz, als sie sich auf dem Widerrist des Pferdes zurechtschob. Sie war das Reiten nicht gewohnt, und das stundenlange Sitzen im Sattel bereitete ihr große Pein. Das laut kundzutun, wagte sie allerdings nicht. Tapfer hob sie den Kopf und blickte nach vorn zu der Brücke. Die dreizehn sich über den Fluss spannenden Bögen erschienen ihr wie ein freundlicher Fingerzeig, eine stumme Aufforderung, die mauerumgrenzte, gutbewachte Stadt zu betreten. Zwei mit Kisten und Fässern beladene Fuhrwerke ratterten aus dem Tor, begleitet von einem halben Dutzend bewaffneter Reiter. Ein Bauer mit einem Karren voll dunklem, viel zu nassem Heu musste am gegenüberliegenden Brückenkopf anhalten und die Wagen nebst Eskorte geduldig passieren lassen, bevor er seine Fracht in die Stadt schieben durfte. Zwei Kinder umsprangen aufgeregt das Fuhrwerk. Sicher hatten sie ihm auf dem Feld helfen müssen und freuten sich nun auf eine warme Suppe am heimischen Herd.
Beim Anblick der Kinder stiegen Magdalena die Tränen in die Augen. Wann hatte sie zuletzt solch eine friedliche Szene erlebt? Roswitha fiel ihr ein. Die hatte ihr immer irgendwo einen Napf Brei oder einen Bissen Fleisch zu beschaffen gewusst. Nach getaner Arbeit mit ihr und Meister Johann um ein Feuer zu sitzen, das gehörte zu den schönsten Momenten, an die Magdalena sich erinnern konnte. Nie wieder würde es so sein! Hastig wischte sie die Tränen fort. Der schwedische Hauptmann war der Letzte, der sie weinen sehen sollte.
Der aufklarende Abendhimmel tauchte die Zinnen der Stadt in ein mildes Licht. Die Wolkengebirge schimmerten blaurot und hatten die bedrohlichen Unwetterwolken der letzten Tage ganz vom Firmament verdrängt. Silbrig glitzerte das Wasser des Flusses. Das Heu auf den abgemähten Wiesen zeigte sich allerdings in düsterem Schmutzbraun. Der Regen hatte es faulen lassen, bevor es zusammengerafft und in die Schober eingebracht werden konnte. Die Sonne hatte zu spät die Oberhand gewonnen, um die Missernte noch zu verhindern. Aus einem nahen Gestrüpp an der Uferböschung erklang munteres Zwitschern. Den Vögeln war es einerlei, ob die Ernte über den Winter reichte oder nicht. Sehnsüchtig tschilpte eine Amsel nach ihrem Gefährten. Keck mischte sich das spitze »Zicks« eines Kernbeißers dazwischen, auch das Rufen eines Buchfinken störte frech den kehligen Gesang der Amsel. Dennoch hörte ein Artgenosse den Ruf. Aus der Ferne schallte die durchdringende Antwort der zweiten Amsel herüber.
Die unverhoffte Musik entlockte Magdalena ein Lächeln. Carlotta hätte ihre helle Freude am lustigen Zwiegespräch der Vögel. An dieser Vorstellung richtete Magdalena sich auf. Wie die Amsel Antwort von ihrem Geliebten erhielt, würde auch sie bald Nachricht von ihrem Kind bekommen. Sie musste nur Geduld haben. Während der Regentage im Kloster waren die Vogelstimmen verstummt. Dass Magdalena sie nun wieder hörte, sollte sie als gutes Zeichen deuten: Sie hatte das Verlies im Kloster überstanden! Wider Erwarten hatte der Bernstein sie noch einmal gerettet. Und Rupprecht war ein weiteres Mal für sie eingetreten, trotz der hässlichen Szene zwischen ihnen im Verlies. Warum sollte nicht noch ein Wunder geschehen und ihr Kind
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