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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Rothenburg, auch ohne mich. Ambrosius mag euch helfen. Gebete von dicken Kuttenträgern haben noch nie geschadet. Von mir aus kann euch auch dieser Ludwig beistehen. Dann werdet ihr einträchtig nebeneinander am Galgen baumeln, wenn die Schweden euch dort willkommen heißen. Oder ihr fallt unterwegs schon einem Rudel Räuber in die Hände. Viel Spaß, meine Liebe, du wirst bald also endlich wissen, wie es ist, für einen rammelnden Hundsfott die Beine breit zu machen.«
    Ihre Hand fuhr nach oben. Sie holte aus, um kräftig zuzuschlagen, doch er zeigte sich unbeeindruckt. Mitten in der Bewegung hielt sie inne, während er weiterredete: »Englund guckt sicher gern zu. Zu mehr ist der sowieso nicht fähig, der alte heringfressende Jammerlappen!«
    Er wandte das Gesicht ab und wollte weggehen, doch es gelang ihr, ihn am Ärmel festzuhalten und wieder zu sich herumzuziehen. Sie hatte gesehen, wie ihm die Tränen über die Wangen liefen. Zwei-, dreimal schöpfte sie nach Luft, kniff die Augen zusammen. Seiner Tränen hätte es nicht bedurft. Sie wusste auch so, was zu tun war. Ehe er sich versah, schlang sie ihm die Arme um den Hals und presste ihr Gesicht gegen seines. »Du argwöhnischer Narr! Du bist so blind vor Eifersucht, dass du wirklich nicht mehr sehen kannst, was wirklich geschehen ist.« Damit konnte auch sie die Tränen nicht mehr halten und schluchzte los.
    Sie wusste selbst nicht mehr, wie lange sie so dagestanden und miteinander geweint hatten. Irgendwann fanden sie sich vor dem halbverfallenen Anwesen wieder, in dem Magdalena mit Babette und ihrem Vater einst untergekommen war, direkt neben dem Quartier des hochverehrten, tapferen Tilly. Ihr Blick wanderte über die Mauerreste und einen verkrüppelten Pflaumenbaum, an dem noch ein Dutzend welker Blätter im Wind zappelten. Dahinter ragte eine Scheune empor. Ihr Herz stockte. »Die Scheune!«
    »Was ist?« Rupprecht folgte ihrem Blick und sah sie erstaunt an.
    »Hat die schon immer hier gestanden, so nah am Haus?«
    »Woher soll ich das wissen?«, erwiderte er verständnislos. »Alt ist sie in jedem Fall. Könnte gut sein, dass sie damals nicht mit abgebrannt ist. Schau, da hinten am Tor sind zwar deutliche Spuren eines Feuers, aber es hat den Anschein, als hätte sie das unbeschadet überstanden.«
    Sie hielt sich an ihm fest, als sie auf das Grundstück gingen, um es sich genauer anzusehen. Es würde ihr keine Ruhe lassen, das wusste sie. Sosehr sie auch davor zurückschreckte, dass das wirklich die Scheune war, in die sie vor langer Zeit das Bündel Mensch geworfen hatte.
    Endlich hatte der Regen nachgelassen. Das stete Nieseln nahmen sie schon gar nicht mehr wahr, so sehr hatten sie sich in den letzten Wochen daran gewöhnt. Die Nässe sorgte dafür, dass sie nicht erkennen konnten, wie alt das Holz war, aus dem die Scheune erbaut worden war. Alles war dunkelschwarz, ganz gleich, wie lang es schon stand.
    »Damals dachte ich, mein Vater wäre weit mit uns aus der Stadt herausgelaufen, um uns vor den Flammen zu retten. Dabei ist er wohl nur mit uns in den Garten gegangen.«
    »Was spielt das für eine Rolle?« Rupprecht wandte sich zum Gehen. Erst da fiel ihm auf, dass sie sich nicht vom Fleck rührte und wie gebannt in eine Ecke direkt neben dem Scheunentor starrte. Etwas Helles blitzte aus dem Unrat auf, der sich dort seit Jahren sammelte. Sie beugte sich vorsichtig darüber und stocherte mit einem kleinen Ast darin herum. Es war ein Stück Stoff, ein Streifen Leinen, wie sie ihn bei Operationen als Verband benutzten. Oder Roswitha, wenn sie ein frisch geborenes Kind gleich nach der Geburt eingewickelt hatte. Ihr wurde flau, alles um sie herum begann sich zu drehen. »Das kann nicht sein!«, stieß sie hervor und tastete nach der Wand, um sich abzustützen.
    »Magdalena, was ist los?«
    »Das Kind! Ich habe es gefunden! Das muss ich Babette sagen. Es liegt noch da!«
    »Welches Kind? Warum musst du das deiner Mutter sagen? Hast du den Verstand verloren?« Er rüttelte sie und versetzte ihr schließlich wieder eine kräftige Maulschelle, dass ihr die Wange brannte. Das brachte sie zur Besinnung. Sie hielt sich die schmerzende Stelle und zwang sich, noch einmal zu der Stelle hinzusehen. Ein Stück Papier lag dort, halb angekohlt, daneben ein paar helle Birkenblätter, herübergeweht von dem Nachbargrundstück. Dort, wo sich früher einmal die Stallungen befunden hatten, in denen Rupprecht und all die anderen Wärme gesucht und Feuer gestiftet hatten,

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